Foto: © flashpics – stock.adobe.com

Wohnortnahe Versorgung erhalten

Was Bayern in der Gesundheitspolitik tun kann

Gesundheitspolitik ist Bundespolitik. Doch die Entscheidungen, die in Berlin getroffen werden, wirken sich unmittelbar auf Bayern aus. Wie kann die wohnortnahe Versorgung trotz der Budgetierung aufrechterhalten werden? Wie kann man den Vormarsch internationaler Investoren stoppen? Wie soll eine vernünftige Digitalisierung aussehen? Und wie kann Bayern überhaupt Einfluss auf gesundheitspolitische Entscheidungen nehmen? Im Vorfeld der Landtagswahl am 8. Oktober baten wir die Gesundheitspolitischen Sprecher der im Bayerischen Landtag vertretenen Fraktionen um Antworten auf diese und andere Fragen. In dieser Ausgabe kommen SPD und Bündnis 90/Die Grünen zu Wort. In der nächsten Ausgabe folgen CSU, Freie Wähler und FDP.

BZB: Selbstverwaltung, Freiberuflichkeit und Therapiefreiheit – welchen Stellenwert haben diese für die Zahnärzteschaft elementaren Begriffe für Sie und Ihre Partei?

Ruth Waldmann, MdL, Gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion

Waldmann: Als Bayern-SPD bekennen wir uns zur freien Arztwahl. Genauso wenig, wie wir den Patientinnen und Patienten vorschreiben wollen, von welchem Zahnarzt sie sich behandeln lassen, wollen wir den Zahnärztinnen und Zahnärzten vorschreiben, ob sie selbstständig oder angestellt tätig sind. Die Selbstverwaltung ist eine tragende Säule unseres Gesundheitssystems, die verantwortungsvolle und bürgernahe Entscheidungen der Institutionen im Gesundheitswesen garantiert.

BZB: Während die Praxiskosten von Jahr zu Jahr steigen, stagniert der in der GOZ festgelegte Punktwert bereits seit 1988. Wie stehen Sie zum angestrebten Inflationsausgleich, der inzwischen von allen Zahnärzten gefordert wird?

Waldmann: Wir unterstützen den Kurs von Gesundheitsminister Karl Lauterbach, die Richtlinie zur systematischen Behandlung von Parodontitis (PAR-Richtlinie) in die Gebührenordnung für Zahnärzte (GOZ) zu übersetzen, wie von der Bundeszahnärztekammer empfohlen. Auf diese Weise ist es nun möglich, wissenschaftlich fundierte Therapien auch in der GOZ abzubilden. Aktuell sind die Leistungen zur Parodontitis-Behandlung der dynamischste Ausgabenbereich in der zahnärztlichen Versorgung. 2023 werden sich die Einnahmen der Zahnärzte für Parodontitis-Behandlungen voraussichtlich annähernd verdoppeln.

Die Kostensteigerungen und geplanten Einsparungen treffen die Zahnärzteschaft ebenso wie die übrigen Ärzte sowie die Apotheken, die Pharmaindustrie und die Kostenträger. Auf diese Weise wird die Last auf alle Schultern verteilt und nicht allein den Beitragszahlern aufgebürdet.

BZB: Seit dem 1. Januar 2023 sind zahnärztliche Leistungen in der gesetzlichen Krankenversicherung erneut budgetiert. Wie wollen Sie junge Zahnärzte dennoch für die Niederlassung begeistern?

Waldmann: Zahnärzte sorgen für eine gute Zahn- und Mundgesundheit. Sie sind daher für unser Gesundheitssystem absolut unverzichtbar. Auch wenn der Honorarzuwachs für sie begrenzt wurde, bleibt die Niederlassung attraktiv. Es bestehen zudem Ausnahmen für Leistungen im Rahmen der aufsuchenden Versorgung oder im Rahmen von Kooperationsverträgen zwischen stationären Pflegeeinrichtungen und Zahnärzten sowie im Fall von Parodontitis-Behandlungen bei Versicherten mit Behinderung oder Pflegebedarf. Die Attraktivität der Niederlassung hängt zudem nicht allein von der Bezahlung ab, sondern auch von einer allgemein guten Infrastruktur am Ort der Niederlassung – insbesondere von ausreichend Fachpersonal. Daher wollen wir als SPD überall in Bayern und Deutschland gute Lebens- und Arbeitsverhältnisse schaffen.

BZB: Internationale Investoren sehen den Medizinbereich als lukratives Investment. Brauchen wir strengere Regeln für Gründung und Betrieb Medizinischer Versorgungszentren (MVZ)?

Waldmann: Wir als Bayern-SPD wollen die Kommerzialisierung im Gesundheitswesen eindämmen. Denn diese wirkt sich negativ auf die Versorgung der Patienten und die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten aus. Gewinne, die aus Mitteln der Solidargemeinschaft erwirtschaftet werden, sollen wieder in das Gesundheitssystem zurückfließen. Daher wollen wir die Gründung von investorenbetriebenen Medizinischen Versorgungszentren auch im zahnärztlichen Bereich durch strengere Regelungen eindämmen und stattdessen Kommunen bei der Einrichtung und dem Betreiben von integrierten Medizinischen Versorgungszentren unterstützen. Mögliche Maßnahmen könnten eine Transparenzpflicht für MVZs sein, die die Gesellschafts- und Inhaberstrukturen nachvollziehbar macht, sowie ein Zulassungsausschuss, der sicherstellt, dass MVZs dort entstehen, wo sie wirklich für die Versorgung gebraucht werden. Zudem müssen Ärzte auch in MVZs unabhängig und frei entscheiden können und die Stellung der ärztlichen Leitung gestärkt werden. Das Bundesgesundheitsministerium hat entsprechende Regelungen in den anstehenden Versorgungsstärkungsgesetzen vorgesehen.

BZB: Bei der Telematik-Infrastruktur kommt es immer wieder zu Ausfällen. Auch der Schutz der Patientendaten ist nicht garantiert. Brauchen wir einen Reset bei der Digitalisierung unseres Gesundheitswesens?

Waldmann: Wir wollen die Potenziale der Digitalisierung für eine Verbesserung und flächendeckende Sicherstellung der gesundheitlichen Versorgung entschlossener nutzen. Die Digitalisierung kann die Versorgungsqualität verbessern, die Effizienz deutlich steigern und die Ärzte sowie die Fachkräfte entlasten. Dabei ist es wichtig, dass keine Insellösungen entstehen. Alle IT-Systeme im Gesundheitswesen müssen das Kriterium der Interoperabilität erfüllen, damit ein schneller und reibungsloser Datenaustausch möglich ist. Dabei muss der Schutz der Daten der Patienten stets gewährleistet sein. Eine gelingende Digitalisierung des Gesundheitswesens braucht daher die Unterstützungen aller Akteure: der Selbstverwaltung, der Einrichtungsleitungen, aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie aller Ärzte.

BZB: Trotz steigender Ausbildungszahlen in Bayern suchen viele Zahnarztpraxen vergeblich nach Fachkräften. Welche Strategie verfolgt Ihre Partei, um das Fachkräfteproblem zu lösen?

Waldmann: Wir als Bayern-SPD wollen attraktive Arbeits- und Ausbildungsbedingungen schaffen, um junge Menschen für Gesundheitsberufe zu begeistern. Gute Tariflöhne, eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, das heißt flexiblere – und nicht längere – Arbeitszeiten, sind hierbei der Schlüssel, mehr Fachkräfte zu gewinnen und dauerhaft zu halten. Auch müssen bisher ungenutzte Potenziale in den Blick genommen und durch umfassende Weiterbildungen für Gesundheitsberufe gewonnen werden. Abschlüsse und Berufserfahrung von ausländischen Fachkräften sollten schneller anerkannt und Nachschulungen berufsbegleitend angeboten werden.

BZB: Inhaber von Zahnarztpraxen sehen sich noch immer mit einer Fülle von bürokratischen Vorschriften – auch auf Landesebene – konfrontiert. Wo gibt es nach Ihrer Meinung Potenzial für den Bürokratieabbau?

Waldmann: Ärzte, Pflegekräfte und andere Fachkräfte im Gesundheitswesen brauchen Zeit für ihre Patienten. Sie sollten von ihren eigentlichen Aufgaben so wenig wie möglich durch Bürokratie und Dokumentationspflichten abgehalten werden. Langfristig wird v. a. die Digitalisierung eine große Entlastung bringen. Durch eine gute – und vor allem interoperable – Telematik-Infrastruktur werden Abläufe wie Datenaufnahme, -verarbeitung und -austausch vereinfacht und beschleunigt. Die Bundesregierung überprüft gerade das SGB V und weitere Normen in Bezug auf Dokumentationspflichten, die durch den technischen Fortschritt überholt sind. Zudem sollen die Verfahrenserleichterungen, die sich in der Pandemie bewährt haben, verstetigt werden. Dazu wird das Bundesgesundheitsministerium bis zum 30. September Empfehlungen für den Bürokratieabbau vorlegen und auf dieser Basis einen Gesetzentwurf formulieren.

BZB: Dual oder einheitlich – wie sieht für Sie und Ihre Partei das Krankenversicherungssystem der Zukunft aus?

Waldmann: Die SPD setzt sich schon lange für eine stabile und solidarische Finanzierung unseres Gesundheitssystems ein. Viele Menschen sehen und erleben hier Ungerechtigkeiten sehr unmittelbar. Sie empfinden die Trennung von gesetzlicher und privater Krankenversicherung als Zweiklassenmedizin. Das betrifft sowohl Unterschiede in der Versorgung als auch in der Höhe der zu leistenden Beiträge. Zunächst gilt es also, für einen Ausgleich zu sorgen und die Lasten gerecht zu verteilen. Langfristig wollen wir zu einer gemeinsamen Bürgerversicherung kommen, in die alle gleichermaßen nach ihren finanziellen Kräften einzahlen. Die Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger – und nicht wirtschaftliche Interessen – sollen im Mittelpunkt stehen. Alle müssen den gleichen Zugang zu einer guten medizinischen Versorgung haben. Die Kosten der Gesundheitsversorgung werden durch eine gemeinsame Bürgerversicherung gerechter verteilt. Wir wollen keine Einkommenseinbußen für die Leistungserbringer, sondern eine stabile Finanzierungsgrundlage für die Zukunft schaffen. Damit sichern wir langfristig und nachhaltig eine hohe Versorgungsqualität.


BZB: Selbstverwaltung, Freiberuflichkeit und Therapiefreiheit – welchen Stellenwert haben diese für die Zahnärzteschaft elementaren Begriffe für Sie und Ihre Partei?

Christina Haubrich, MdL, Gesundheitspolitische Sprecherin Bündnis 90/Die Grünen

Haubrich: Wir wollen die Selbstverwaltung, Freiberuflichkeit und Therapiefreiheit erhalten. Freiberuflichkeit steht für eine eigenverantwortliche, selbstbestimmte und am Wohl der Patienten ausgerichtete Berufsausübung. Damit ist diese für uns von hohem Wert im Gesundheitssystem. Programme zur Förderung der Praxisgründung bzw. Praxisübernahme in eigener Niederlassung sind daher zu begrüßen und ebenso sinnvolle Ansätze, die Freiberuflichkeit im Gesundheitsbereich zu stärken. Gleichzeitig gilt es aber auch, der steigenden Nachfrage junger Ärztinnen und Ärzte nach Zahnarztstellen im Angestelltenverhältnis Rechnung zu tragen und entsprechende Möglichkeiten zu schaffen.

Patienten sollen auch weiterhin selbst entscheiden können, an welche Zahnärzte oder Ärzte sie sich wenden. Dazu gehört aber auch die Freiheit, auf das eigene Recht der freien Arztwahl zeitweise verzichten zu können, zum Beispiel im Rahmen eines Hausarztvertrages.

BZB: Während die Praxiskosten von Jahr zu Jahr steigen, stagniert der in der GOZ festgelegte Punktwert bereits seit 1988. Wie stehen Sie zum angestrebten Inflationsausgleich, der inzwischen von allen Zahnärzten gefordert wird?

Haubrich: Die GOZ wurde durch Artikel 1 Erste ÄndVO vom 5. Dezember 2011 (BGBl. I S. 2661) mit Wirkung zum 1. Januar 2012 novelliert.

Bezüglich des Inflationsausgleiches gibt es aktuell für die Arbeitgeber die Möglichkeit, ihren Beschäftigten eine Inflationsausgleichsprämie von bis zu 3.000 Euro steuer- und beitragsfrei auszuzahlen. Die Prämie kommt in jedem Fall zu 100 Prozent bei den Beschäftigten an. Diese Maßnahme kann Praxisinhaber auch strategisch unterstützen – etwa bei anstehenden Lohnverhandlungen. Die Prämie kann pro Arbeitnehmer bezahlt werden, egal, ob sie oder er in Voll- oder Teilzeit tätig ist. Weiterhin sind Auszahlungen an Aushilfen, Azubis, Minijobber (ohne Anrechnung auf die Minijob-Grenze) sowie in Beschäftigungsverbot oder in Mutterschutz befindliche Beschäftigte möglich.

BZB: Seit dem 1. Januar 2023 sind zahnärztliche Leistungen in der gesetzlichen Krankenversicherung erneut budgetiert. Wie wollen Sie junge Zahnärzte dennoch für die Niederlassung begeistern?

Haubrich: Wir stehen für eine verlässliche und ausreichende Versorgung mit Zahnärzten und auch für gute Rahmenbedingungen für die Ausübung des Zahnarztberufes, wie etwa flexiblere Arbeitszeitmodelle. Mit Niederlassungsanreizen in unterversorgten Gebieten, durch Telemedizin und Fahrdienste sowie mit der Unterstützung von Praxisnetzwerken schaffen wir stabile Rahmenbedingungen und Strukturen. Wir wollen nichtärztliche Gesundheitsberufe durch bessere Ausbildung und mehr Kompetenzen stärken und Entbürokratisierung im Zahnarztberuf vorantreiben.

BZB: Internationale Investoren sehen den Medizinbereich als lukratives Investment. Brauchen wir strengere Regeln für Gründung und Betrieb Medizinischer Versorgungszentren (MVZ)?

Haubrich: Wir stehen für eine bedarfsgerechte, patientenorientierte, qualitativ hochwertige und flächendecke Gesundheitsversorgung. Der Zugang zu guter Gesundheitsversorgung muss selbstverständlich sein und darf nicht zum Spielball privater Kapitalgruppen werden. Seit einiger Zeit beobachten wir, dass Akteure an Einfluss auf die (zahn-)ärztliche Versorgung gewinnen, die eher wirtschaftliche Interessen verfolgen, anstatt dem Wohl der Patienten dienen zu wollen. Dagegen wollen wir vorgehen und insbesondere mehr Transparenz und bessere Regulierung und Qualitätssicherung schaffen.

Mehr Transparenz über MVZ-Eigentümer ist dringlich, insbesondere bei der Frage, wer welche Gesundheitseinrichtung besitzt und die Rendite abschöpft. Dabei geht es uns GRÜNEN vor allem darum, Monopolbildung und eine zunehmend renditeorientierte Versorgung zu verhindern, die den Patienten nicht dient. Strengere Vorgaben für sogenannte Träger-Krankenhäuser, die von den Finanzinvestoren als Türöffner bei MVZ-Gründungen benutzt werden, sehen wir als sinnvoll an. Gleichzeitig wollen wir die Gründung von kommunal getragenen MVZ erleichtern und stehen für MVZ in (Zahn-)Ärzte-Hand, neben dem klassischen und weiterhin wichtigen Modell der Einzel- oder Gemeinschaftsarztpraxis. Damit fördern wir kooperative Versorgungsformen, die insbesondere für ländliche Regionen eine wichtige Rolle in der Versorgung der Bevölkerung spielen können.

BZB: Bei der Telematik-Infrastruktur kommt es immer wieder zu Ausfällen. Auch der Schutz der Patientendaten ist nicht garantiert. Brauchen wir einen Reset bei der Digitalisierung unseres Gesundheitswesens?

Haubrich: Der Erfolg der Telematik und darunter zum Beispiel der ePA (elektronische Patientenakte) steht und fällt mit der Sicherheit der dort gespeicherten Daten. So werden in den sozialen Medien Ängste geschürt und suggeriert, dass diese nicht gewährleistet sei. Das ist nicht zielführend. Entscheidend ist, dass alle Daten immer besser geschützt werden und Cyber-Angriffe so gut wie möglich verhindert werden. Einzelne (Zahn-)Arztpraxen, Krankenhäuser, aber selbst Krankenkassen können dieses Risiko nicht mehr allein beherrschen. Es wird vielmehr darauf ankommen, zunehmend in professionelle Cloud-Lösungen mit professioneller IT-Sicherheit zu investieren. IT-Sicherheit muss so selbstverständlich werden wie Handhygiene oder Brandschutz. Wir sind der Meinung, wir müssen die Digitalisierung entscheidend vorantreiben. Dass es besser funktionieren kann, zeigen uns viele andere Länder, die mittlerweile einen großen Vorsprung bei der Digitalisierung im Gesundheitswesen vorweisen können.

BZB: Trotz steigender Ausbildungszahlen in Bayern suchen viele Zahnarztpraxen vergeblich nach Fachkräften. Welche Strategie verfolgt Ihre Partei, um das Fachkräfteproblem zu lösen?

Haubrich: Fachkräftemangel ist ein ernst zu nehmendes Problem, das momentan beinahe alle Bereiche betrifft. Gepaart mit den steigenden Bedarfen der alternden Bevölkerung sowie der Alterung der Zahnärzteschaft selbst, wird die Versorgung vor allem in ländlichen Regionen immer schwieriger zu gewährleisten. Wir setzen uns dafür ein, die nichtärztlichen Gesundheitsberufe in diesem Zusammenhang deutlich zu stärken, Bürokratiehürden möglichst abzubauen sowie Telemedizin-Möglichkeiten intensiver zu nutzen.

Wir stehen für die Förderung von innovativen Versorgungsmodellen auf dem Land ein, wie etwa die mobile Zahnarztpraxis, kommunal geführte MVZ oder auch die Förderung der Gemeinschaftspraxen in unterversorgten Gebieten oder Fahrtaxis für die immobile ältere Bevölkerung. Die Grenzen bei bestehenden Sektoren wollen wir abbauen.

BZB: Inhaber von Zahnarztpraxen sehen sich noch immer mit einer Fülle von bürokratischen Vorschriften – auch auf Landesebene – konfrontiert. Wo gibt es nach Ihrer Meinung Potenzial für den Bürokratieabbau?

Haubrich: Zentral für die Reduzierung von Bürokratie ist die erfolgreich umgesetzte und vollständige Digitalisierung in der Praxis sowie im gesamten Gesundheitssektor, damit etwa die Dokumentation nicht mehr zweifach, digital und in klassischer Papierform, erfolgt. Auch das E-Rezept, Online-Terminvergaben sowie die elektronische Patientenakte können den Verwaltungsaufwand gerade in Praxen reduzieren.

Ehrlicherweise muss man zugestehen, dass es bei den Akteuren im Gesundheitswesen unterschiedliche Ansichten darüber gibt, welche Regeln und Vorgaben zwingend notwendig und welche als überflüssige Bürokratie verzichtbar sind. So muss zum Beispiel bei der Qualitätssicherung und bei Hygienevorschriften darauf geachtet werden, dass diese zu mehr Qualität und nicht zu mehr Bürokratie führen. Auch unnötiger Dokumentationsaufwand und das Formular(un-)wesen müssen angegangen werden. Hier sind jedoch vor allem die Partner der Selbstverwaltung gefordert.

BZB: Dual oder einheitlich – wie sieht für Sie und Ihre Partei das Krankenversicherungssystem der Zukunft aus?

Haubrich: Bereits heute können relevante Bevölkerungsgruppen wie zum Beispiel kleine Selbstständige nicht mehr auf eine verlässliche und bezahlbare Absicherung vertrauen. Das duale Krankenversicherungssystem kann damit ein zentrales Versprechen nicht mehr einhalten. Wir schlagen daher eine Bürgerversicherung vor. Zentraler Vorteil der grünen Bürgerversicherung ist die Aufhebung der international nahezu einmaligen Trennung zwischen privater und gesetzlicher Krankenversicherung. Alle sollen sich an der Finanzierung unseres solidarischen Gesundheitswesens beteiligen. Damit wollen wir Solidarität und Zusammenhalt stärken, mehr Wahlfreiheit für die Versicherten schaffen, mehr Wettbewerb für gute Qualität ermöglichen sowie eine gute Versorgung aller Patientinnen und Patienten unabhängig vom Einkommen ermöglichen. Die Bürgerversicherung stellt keine Revolution dar, denn bereits heute sind gut 86 Prozent der Bevölkerung gesetzlich versichert.

Die konkreten Verteilungswirkungen einer Bürgerversicherung sind von deren konkreter Ausgestaltung abhängig. Wir haben in der Vergangenheit wiederholt renommierte Institute wie das IGES-Institut oder das Bremer Institut für Sozialpolitik mit umfangreichen Modellrechnungen beauftragt. Die Gutachten haben gezeigt, dass die grüne Bürgerversicherung zu einer Entlastung der meisten gesetzlich und privat Versicherten führt. Untersuchungen im Auftrag anderer Institutionen bestätigen die möglichen Entlastungswirkungen einer Bürgerversicherung.

Eine Abschaffung der PKV ist aber nicht unser Ziel, auch die PKV soll die Bürgerversicherung anbieten können und damit in einen Wettbewerb mit den gesetzlichen Krankenkassen um gute Versorgung treten. Wir wollen so die Spaltung des gesetzlichen und privaten Versicherungsmarktes überwinden. Bei einem gemeinsamen Vergütungssystem wollen wir erreichen, dass die bislang in der PKV gezahlte Honorarsumme auch in der Zukunft für die Versorgung zur Verfügung steht und nicht verloren geht. Die angestrebte Reform ist zweifellos anspruchsvoll. Überzeugende (verfassungs-)rechtliche Argumente gegen einzelne Bestandteile einer Reform, beispielsweise gegen die Portabilität von Altersrückstellungen für Versicherte, die gerne ihr Krankenversicherungsunternehmen wechseln möchten, sind uns jedoch nicht bekannt.

Die Fragen an die Gesundheitspolitischen Sprecher der Landtagsfraktionen stellten Leo Hofmeier und Thomas A. Seehuber.