CSU-MdB Stephan Pilsinger (Mitte) sparte bei seinem Besuch im Zahnärztehaus München nicht mit Kritik an Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD).

„Wir brauchen Freiberuflichkeit statt Staatsmedizin“

MdB Stephan Pilsinger kritisiert Lauterbachs Flickschusterei

Es wird oft beklagt, dass Politiker wenig Praxiserfahrung für ihre Tätigkeit mitbringen. Bei Stephan Pilsinger ist das anders. Der 36-Jährige hat ein Medizinstudium absolviert und arbeitet tageweise in einer Hausarztpraxis. Außerdem hat er einen Master in Gesundheitsmanagement. Seit 2017 gehört er für die CSU dem Deutschen Bundestag an und ist Mitglied des Gesundheitsausschusses. Im BZB-Interview urteilt er hart über die Gesundheitspolitik von Karl Lauterbach (SPD).

BZB: Karl Lauterbach ist als „Gesundheitsminister der Herzen“ gestartet. Jetzt bereitet er Ärzten, Zahnärzten und Patienten nur noch Schmerzen. Was halten Sie von seiner Gesundheitspolitik?

Pilsinger: Karl Lauterbach hat sich leider als reiner Ankündigungsminister erwiesen. Während seine eigenen Ministerialbeamten nicht an ihn herankommen, um profunde, fachlich versierte und nachhaltig wirkende Gesetzgebungsarbeit vorzubereiten, vermeldet ihr Chef bei Markus Lanz oder auf X, dem früheren Kurznachrichtendienst Twitter, diese oder jene Reform oder gar Revolution. Am Ende steht bei all diesem Kommunikationschaos oft nur Verwirrung, maximal ein Reförmchen. Das ist höchst unprofessionell und schadet der Gesundheitsversorgung in Deutschland enorm.

BZB: Das GKV-FinStG war eine Reaktion auf das Milliardendefizit, das die Kassen angehäuft hatten. Wie hätten Sie dieses Problem gelöst?

Pilsinger: Mit diesem Gesetz hatte sich Lauterbach gleich zu Beginn seiner Amtszeit alle Akteure des Gesundheitswesens gleichzeitig zum Feind gemacht, ohne Wesentliches zu bewirken. Dieses Gesetz ist eine Flickschusterei, nur um das GKV-Defizit für ein einziges Jahr irgendwie einzufangen. Gesundheitspolitische Strategie oder Nachhaltigkeit sind jedenfalls keine Elemente dieses Abzockgesetzes. Langfristig sinnvolle und wirksame Maßnahmen wären nach wie vor die längst überfällige Erhöhung der Bundeszuschüsse für die Bezieher von Arbeitslosengeld II bzw. von Bürgergeld, eine Absenkung der Mehrwertsteuer auf Arzneimittel von 19 auf 7 Prozent und eine strikte Evaluation, welche sogenannte versicherungsfremde Leistungen noch von den GKV-Versicherten und welche künftig vom Staat zu zahlen sein werden. Außerdem müssen wir die Patientensteuerung, etwa mit einer deutlichen Stärkung des Primärarztmodells, verbessern. Das kann mittel- bis langfristig Milliardenbeträge einsparen.

BZB: Glauben Sie, dass die Lauterbach-Reformen das Finanzierungsproblem langfristig lösen?

Pilsinger: Leider glaube ich das in keiner Weise. Minister Lauterbach wollte eigentlich bis Ende Mai 2023 konkrete, langfristig wirkende Vorschläge für eine Stabilisierung der GKV-Finanzen vorlegen. Bis heute haben wir nichts. Stattdessen kommt er mit der Herausnahme der Homöopathie aus dem GKV-Leistungskatalog. Das ist wirklich ein Placebo in der Debatte und löst das Problem als Ganzes überhaupt nicht. Statt Nebelkerzen soll Lauterbach endlich mal klare Leitplanken setzen, etwa in der Patientensteuerung.

BZB: Die Stimmung innerhalb der Heilberufe ist desaströs. Kaum ein junger Arzt oder Zahnarzt will sich noch niederlassen. Wie kann die Politik hier wirksam gegensteuern?

Pilsinger: Neben dem Problem der Budgetierung der ärztlichen Leistungen müssen deutlich mehr bürokratische und Haftungsregeln aufgehoben werden. Das schreckt den potenziellen Nachwuchs ab. Außerdem müssen wir mehr junge Ärzte und Zahnärzte generieren. Dazu sollten wir weg von der Abiturnote 1,0 als dominantem Zulassungskriterium zum Medizinstudium und lieber einen bundesweiten Medizinertest einführen, wie es ihn in Österreich gibt. Schließlich kann ich vor allem die SPD nur ermahnen, die Finger von der Freiberuflichkeit der Ärzte zu lassen und krude Ideen von Staatsmedizin einzustampfen.

BZB: Lauterbach hat auf den Protest der Hausärzte reagiert. Sind seine Verbesserungsvorschläge ausreichend und wie will er sie finanzieren?

Pilsinger: Die beim Ärztegipfel – erneut – angekündigte Entbudgetierung der Hausärzte soll ja jetzt bald im Versorgungsgesetz I kommen. Das ist schon mal eine gute Nachricht. Ich glaube das aber erst, wenn ich es im Bundesgesetzblatt lese. Auch die vom Minister angekündigte Entlastung von Bürokratie wäre ein Fortschritt. Dass das die Kassen und damit Beitragszahler kaum spüren, wie Lauterbach das hinstellt, das glaube ich jedoch nicht. Aber das sollte es uns und unserer Gesundheit wert sein.

BZB: Die Zahnärzte sind weiterhin budgetiert. Was raten Sie einer Praxis, die 80 Prozent AOK-Versicherte hat und 2024 mit Rückbelastungen im sechsstelligen Bereich rechnen muss?

Pilsinger: Dass die Zahnärzte weiterhin budgetiert sind, ist falsch. Da wird ganz klar am falschen Ende gespart. Das rächt sich am Ende bei der Gesundheit der Patienten. Nehmen wir nur die moderne Parodontitisbehandlung, die durch den Honorardeckel faktisch unmöglich gemacht wird. Die Folgekosten, die den Kassen durch die so sich auswachsende Parodontitis entstehen, sind absehbar deutlich höher als die vermeintlichen Einsparungen durch den Honorardeckel. Ein gesundheitspolitischer Schuss nach hinten! Ich kann nur an den Berufsethos der Zahnärzte appellieren, die Zähne zusammenzubeißen und die unschuldig nicht optimal behandelbaren Patienten so gut wie es geht zu versorgen. Das machen ja auch 99 Prozent unserer Zahnärzte weiterhin. Gleichzeitig sollten sie und die Kassenzahnärztlichen Vereinigungen den Protest gegen die Lauterbach‘sche Fehlpolitik erhöhen und vielleicht auch mehr auf die Straßen tragen. Sie können mit ihrem Dentalbesteck zwar nicht die Straßen blockieren wie die Bauern, aber sich sicherlich anderweitig Gehör verschaffen. Was Zahnweh bedeutet, versteht schließlich jeder.

BZB: Aus Sicht der Zahnärzteschaft kann nur die sofortige Entbudgetierung und eine Erhöhung der GOZ-Punktwerte ein Praxissterben verhindern. Glauben Sie, dass man das im politischen Berlin irgendwann erkennt?

Pilsinger: „Irgendwann“ ist in diesem Zusammenhang ein Wort der Hoffnung gegenüber der Ampelkoalition. Wir als Union fordern das ja bei jeder Gelegenheit. Ich möchte hier nur den von mir initiierten Antrag zur Novelle der GOZ erwähnen, den die Ampel im parlamentarischen Verfahren bewusst verzögert. Lassen Sie uns – Zahnärzteschaft und Union – weiterhin gemeinsam lautstark auf diese Missstände aufmerksam machen!

BZB: Sie haben eine Kleine Anfrage im Bundestag zur gematik und zum Konnektortausch eingebracht. Wie stehen Sie generell zur staatlich verordneten Digitalisierung?

Pilsinger: Die Digitalisierung im Gesundheitswesen dürfen wir nicht verschlafen. Leistungen wie die ePA, das E-Rezept oder die eAU sind international in anderen Ländern teilweise schon länger Standard. Das macht unser Gesundheitssystem dauerhaft effizienter und hilft auch, Geld einzusparen. Vor allem die Patienten werden es mit den digitalen Anwendungen leichter haben – wenn sie denn mal funktionieren. Dass der Staat nicht immer der beste Dienstleister ist, ist für mich nicht nur im Gesundheitsbereich ein Prinzip. Der Staat sollte nur die Rahmenbedingungen setzen für eine gute Qualität der Anwendungen und für Wettbewerb der Anbieter, sich sonst aber raushalten. Da scheint mir Lauterbach mal wieder mit staatlichen Vorgaben zu weit gehen zu wollen.

BZB: Vielen Dank für das Gespräch.

Die Fragen stellte Leo Hofmeier.


ZUR PERSON
Stephan Pilsinger wurde 1987 in München geboren. Mit 15 Jahren trat er in die Junge Union ein. Er ist approbierter Arzt und hat einen Master in Gesundheitsmanagement. Nach der Approbation arbeitete er in einem kommunalen Krankenhaus. Seit 2017 vertritt Pilsinger den Wahlkreis München-West im Deutschen Bundestag. Er gehört dem Gesundheitsausschuss an. Den Arztberuf übt er in Teilzeit in einer ländlichen Hausarztpraxis aus.