Vieles richtig gemacht
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Vieles richtig gemacht – Postpandemische Perspektiven des Berufsstandes

Vieles deutet auf einen Übergang von der pandemischen in die endemische Phase der Corona-Pandemie hin. Zeit für eine Bilanz aus zahnärztlicher Sicht – und einen Blick in die Zukunft! Zehn zentrale Erkenntnisse lassen sich aus der Krise ziehen.

  1. Krise aus eigener Kraft bewältigt

Die Corona-Pandemie ist eine der tiefsten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Krisen seit dem Zweiten Weltkrieg. Die öffentlichen Haushalte haben enorme Schulden aufgehäuft, die sie erst in Jahrzehnten abtragen können. Viele Branchen und Wirtschaftszweige sind existenziell bedroht. Das Sterben vieler Innenstädte hat sich durch die Verlagerung von Einkäufen in den Onlinehandel beschleunigt. Die Zahnärzte sind dagegen vergleichsweise gut durch die Krise gekommen. Nach einem massiven Rückgang der Inanspruchnahme zahnärztlicher Leistungen im Frühjahr 2020 stabilisierten sich die Umsatzzahlen bereits ab Mai 2020 wieder und liegen heute auf dem Vorkrisenniveau. Da der Staat den Zahnärzten Liquiditätshilfen verweigerte, mussten sie die Krise aus eigener Kraft bewältigen. Lediglich das Instrument der Kurzarbeit sorgte für eine gewisse Entlastung bei den laufenden Kosten. Dennoch ist ein anfangs befürchtetes Praxissterben ausgeblieben.

2. Sicherstellungsauftrag erfüllt

Zu Beginn der Pandemie wusste man wenig über das Virus und seine Verbreitung. Es gab weder Schnelltests noch Impfungen. Auch Schutzausrüstung war knapp – vor allem FFP2-Masken. KZVB und BLZK sprachen deshalb zunächst die Empfehlung aus, aufschiebbare Behandlungen zu verschieben und nur unbedingt notwendige Behandlungen durchzuführen. Die Entscheidung über die Notwendigkeit einer Leistung blieb in Bayern dem behandelnden Zahnarzt überlassen. Einige Praxen mussten wegen Material- oder Personalmangel den Betrieb vorübergehend einstellen. Die KZVB reagierte darauf mit der Einrichtung eines Notdienstes unter der Woche. Jeder Schmerzpatient wurde auch in der Hochphase der Pandemie zahnmedizinisch versorgt. 16 Covid-19-Schwerpunkpraxen übernahmen freiwillig die Versorgung von infizierten oder unter Quarantäne stehenden Patienten. Ihnen gebührt Dank und Anerkennung.

3. Systemrelevanz festgestellt

Der in Bayern sehr früh ausgerufene Katastrophenfall führte schnell zu der Frage, welche medizinischen Leistungen in einer Pandemie wirklich notwendig sind. Einige von den Kreisverwaltungsbehörden berufene Versorgungsärzte zögerten, die Zahnärzte mit staatlich beschaffter Schutzausrüstung auszustatten. Durch eine Intervention der KZVB beim Bayerischen Gesundheitsministerium konnte die Systemrelevanz der Zahnärzte eindeutig festgestellt werden. Zahnmedizinische Leistungen wurden als „medizinisch notwendig“ eingestuft. Ab diesem Zeitpunkt erhielten auch Zahnarztpraxen Masken, Handschuhe und Desinfektionsmittel aus Kontingenten des Landes und des Bundes.

Trotz Pandemie konnte die KZVB die Rahmenbedingungen für die zahnärztliche Berufsausübung weiter verbessern. Die Punktwertsteigerungen orientieren sich durchgängig an der Grundlohnsumme und liegen deutlich über der Inflationsrate.

4. Höchste Priorisierung bei Impfterminen

Die Corona-Impfstoffe waren zu Beginn der Impfkampagne äußerst knapp. Es kam zu einer strengen Priorisierung bei der Vergabe von Impfterminen. Das Bayerische Gesundheitsminis-terium stufte im Einvernehmen mit der KZVB die Zahnärzte und ihre Praxismitarbeiter bereits im Januar 2021 in die höchste Priorität ein. In anderen Bundesländern war dies erst deutlich später der Fall. Ausschlaggebend hierfür waren das hohe Expositionsrisiko und die Aerosolbildung bei der zahnärztlichen Berufsausübung.

5. Selbstverwaltung hat sich bewährt

Die Pandemie hat gezeigt, dass die Selbstverwaltung im Gesundheitswesen funktioniert. Gerade die föderalen und dezentralen Strukturen sorgten in Verbindung mit einem starken ambulanten Sektor dafür, dass Deutschland besser durch die Krise gekommen ist als andere europäische Länder. Über 80 Prozent der Infizierten wurden durch niedergelassene Ärzte versorgt. Die Krankenhäuser konzentrierten sich auf die schweren Fälle. Durch die enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen der zahnärztlichen Selbstverwaltung und dem Gesundheitsministerium konnte in Bayern eine staatliche Einschränkung der Behandlungstätigkeit vermieden werden. In Baden-Württemberg galt dagegen kurzzeitig ein faktisches Berufsausübungsverbot für Zahnärzte (Beschränkung auf Schmerzbehandlungen). Auch die KZVB-Bezirksstellen, die Zahnärztlichen Bezirksverbände und die Obleute wirkten an der Bewältigung der Pandemie mit. Ein Beispiel dafür ist die Organisation von speziellen Impfterminen für Zahnärzte und ihr Personal in mehreren Impfzentren. Die KZVB stellte im Rahmen der Amtshilfe die dafür notwendigen Kontaktdaten zur Verfügung und führte teilweise auch die Vergabe der Termine durch. Für die pandemiebedingten Kostensteigerungen konnten sowohl in der PKV als auch in der GKV Zuschläge bzw. Pauschalen verhandelt werden.

Bei den ausbezahlten Vergütungen gab es 2020 einen pandemiebedingten Einbruch, der 2021 wieder mehr als ausgeglichen werden konnte.

6. Krise als Chance genutzt

Jede Krise ist auch eine Chance. Wie in Punkt 3. ausgeführt, konnten die Zahnärzte ihre Systemrelevanz durch die Pandemie untermauern. Sie werden von der Politik und der Öffentlichkeit als Ärzte wahrgenommen, die medizinisch notwendige Leistungen erbringen. Durch eine bayernweite Informationskampagne unter dem Motto „Jetzt zum Zahnarzt gehen – Karies kennt kein Corona“ konnte die Bedeutung der Mundgesundheit für den gesamten Organismus noch stärker ins öffentliche Bewusstsein gerückt werden. Die Patienten haben zudem hohes Vertrauen in die Schutz- und Hygienemaßnahmen in den Praxen, was der rasche Wiederanstieg der Fallzahlen beweist. Die geplante vorübergehende Impfbefugnis für Zahnärzte zeigt ebenfalls, dass der Berufsstand auf Augenhöhe mit den Humanmedizinern agiert. Es bleibt zu hoffen, dass die Impfbefugnis über den 31. Dezember 2022 hinaus verlängert und auf andere Impfungen wie Hepatitis oder Tetanus ausgeweitet wird. Die Bewältigung der Pandemie wurde in Bayern auch durch die enge Zusammenarbeit der beiden Schwesterkörperschaften KZVB und BLZK erleichtert.

7. Keine standespolitische Stagnation

Auch wenn die Pandemie vieles überlagerte, kam es nicht zu einer standespolitischen Stagnation. Die Gremien der Selbstverwaltung arbeiteten unter erschwerten Bedingungen vollum-fänglich weiter. Die Vertragszahnärzte bekamen ihre Honorare von der KZVB pünktlich ausbezahlt. Eine Erhöhung der Sonderzahlungen schaffte in schwierigen Zeiten zusätzliche Liquidität. Trotz hoher Ausgaben der Krankenkassen für die Pandemiebewältigung und sinkender Einnahmen durch einen Anstieg der Arbeitslosigkeit ist es der zahnärztlichen Selbstverwaltung gelungen, neue Bema-Positionen durchzusetzen. Die am 1. Juli 2021 in Kraft getretene PAR-Richtlinie und die Unterkieferprotrusionsschiene verbessern die Patientenversorgung und bieten den Praxen neue wirtschaftliche Perspektiven. Mit den in Bayern tätigen Krankenkassen konnten trotz der Pandemiekosten Vergütungsvereinbarungen abgeschlossen werden, die sich an der Grundlohnsumme orientieren und deutlich über der Inflationsrate liegen. Lediglich mit dem BKK-Landesverband musste die KZVB vor das Landesschiedsamt ziehen. Die Gesamtvergütungsobergrenze wurde bei keiner Kasse überschritten, der Honorarverteilungsmaßstab kam weiterhin nicht zur Anwendung. Die Budgetierung wurde pandemiebedingt ausgesetzt.

8. Defizite aufgedeckt

Wie in vielen Bereichen, hat die Pandemie auch in der Zahnmedizin Defizite aufgedeckt. Das gilt insbesondere für den seit Jahren zu beobachtenden Fachkräftemangel. Die mehrfachen Lockdowns und Schulschließungen führten dazu, dass viele Mitarbeiter zu Hause bleiben mussten, um ihre Kinder zu betreuen. Anders als in Verwaltungsberufen können Zahnarztpraxen ihren Mitarbeitern aber nur sehr bedingt mobiles Arbeiten oder Homeoffice anbieten. Die von der Ampel-koalition beschlossene einrichtungsbezogene Impfpflicht könnte den Personalmangel verschärfen. Mittelfristig bedarf es enormer Anstrengungen, um das Problem des Fachkräftemangels zu lösen (siehe Seite 25).

9. Digitalisierung neu denken

Die Pandemie hat gezeigt, dass Deutschland bei der Digitalisierung seines Gesundheitswesens im internationalen Vergleich hinterherhinkt. Die vielfach belachte Meldung der Infektionszahlen von den Gesundheitsämtern an das RKI per Telefax ist ein Anachronismus. Auch die Entwicklung der Corona-Warn-App dauerte viel zu lang. Daran ändern auch die ehrgeizigen Digitalisierungspläne des ehemaligen Bundesgesundheitsministers Jens Spahn nichts. Die Telematik-Infrastruktur (TI) und die gematik haben die in sie gesetzten Erwartungen in keinster Weise erfüllt und werden dies auch in Zukunft nicht tun. Wir brauchen einen kompletten Reset bei der Digitalisierung, damit sie von Ärzten, Zahnärzten und Patienten gleichermaßen akzeptiert wird und einen Mehrwert hat. Es braucht eine gesamtgesellschaftliche Diskussion darüber, welche Daten wo gespeichert werden und wer sie einsehen kann. Das gilt auch für den Aufbau eines (nationalen) Impfregisters. Digitalisierung muss den Menschen dienen und darf niemals ein Selbstzweck sein. Und vor allem: Sie muss funktionieren. Ein Beispiel für eine gelungene Digitalisierung sind die virtuellen Fortbildungsangebote der KZVB, die die Zahnärzte während der Pandemie und darüber hinaus tagesaktuell mit wichtigen Informationen versorgen.

10. Zahnmedizin hat Zukunft

Zahnarzt ist ein Beruf mit Zukunft. Der Run auf die Studienplätze ist ungebrochen hoch (siehe Seite 41). Die Rahmenbedingungen für die Berufsausübung haben sich durch die Pandemie nicht verschlechtert, in mancher Hinsicht sogar verbessert. Gewisse Transformationsprozesse sind aber auch durch die Pandemie nicht gestoppt, teilweise sogar beschleunigt worden. Der Trend zu größeren Organisationseinheiten setzt sich fort. Medizinische Versorgungszentren konnten ihre Marktanteile weiter ausbauen, haben ihren Schwerpunkt aber weiterhin in den städtischen Ballungsräumen. Für einige Landpraxen ist es nach wie vor schwierig, einen Nachfolger zu finden. Es bleibt die große Herausforderung der zahnärztlichen Selbstverwaltung, junge Kolleginnen und Kollegen für die Niederlassung zu begeistern und die Freiberuflichkeit zu erhalten.

Leo Hofmeier