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Stoßzähne im Ober- und Unterkiefer

Forscher untersuchen Gebisse von Ur-Elefanten im Allgäu

Mitten im Allgäu lebten vor 11,5 Millionen Jahren Elefanten. Gebiss- und Skelettanalysen liefern Tübinger Wissenschaftlern nun neue Erkenntnisse zu deren Lebensgewohnheiten.

Elefanten gehören zu den Tierarten, die stark vom Aussterben bedroht sind. In den Regionen Afrika und Asien findet man heute nurmehr drei verbliebene Elefantenarten. Im Miozän war dies noch ganz anders. Auf der Erde lebten damals viele verschiedene Arten von Rüsseltieren. Das damals vorherrschende tropische Klima ermöglichte ihnen das Überleben auch in Mitteleuropa. Ein Forscherteam der Universität Tübingen und des Senckenberg Centre for Human Evolution and Palaeoenvironment untersuchte nun erstmals die Überreste von Rüsseltieren, die man in der Tongrube Hammerschmiede bei Pforzen im Ostallgäu aufgefunden hatte. Die Rüsseltiere lebten dort offenbar vor rund 11,5 Millionen Jahren – in etwa demselben Zeitraum wie auch „Udo“, der erste zweibeinige Menschenaffe Danuvius guggenmosi, dessen Entdeckung die Hammerschmiede weltweiten Bekanntheitsgrad verdankt.

Unterkieferknochen mit Milchzähnen (oben) und Milchhauer, dem unteren Stoßzahn (unten) des
jungen Deinotheren Deinotherium levius aus der Hammerschmiede. © A. Fatz und G. Konidaris

Rüsseltiere sind die größten Landsäugetiere, die wir kennen. Die Fossilien der aufgefundenen acht Tiere konnten die Forscher insgesamt zwei Arten zuordnen. Einmal dem ausgestorbenen Hauerelefanten (Deinotherien – vom altgriechischen Wort „deinos“ für schrecklich und „therion“ für Tier). Bei diesen Funden handelte es sich überwiegend um Jungtiere der Art Deinotherium levius. Diese primitive Familie der Dickhäuter hatte sich in der Evolution vor 30 Millionen Jahren von den übrigen Rüsseltieren getrennt. Ihre charakteristischen Merkmale sind rückwärts gekrümmte, hauerartige untere Stoßzähne. Zudem fehlen die sonst für Elefanten typischen oberen Stoßzähne.

„Von besonderer Bedeutung ist eine Entdeckung aus dem Jahr 2020, da wurde erstmals ein Teilskelett eines wenige Monate alten Deinotheriumbabys gefunden“, berichtet Dr. George Konidaris, Erstautor der Studie. Das durch 24 Skelettelemente – darunter Unterkiefer, Rippen, Becken sowie Schien- und Wadenbein – dokumentierte Jungtier habe in unmittelbarer Nachbarschaft zu einem Weibchen von Danuvius gelegen. Dieser Fund sei ein Glücksfall für die Wissenschaft. „Noch nie zuvor war ein solches Jungtier entdeckt worden, das sowohl die bleibenden Hauer als auch noch deren Vorläufer aus dem Milchgebiss aufweist. Diese kurze Phase im Leben der Rüsseltiere wird selten durch Fossilien dokumentiert. Der Fund hat daher große Bedeutung für ein besseres Verständnis der Individual- und Lebensgeschichte der Deinotherien.“

Tatsächlich handelt es sich hier erst um den dritten entdeckten Nachweis weltweit von Milchhauern bei Deinotherien. „Der Milchhauer des Jungtieres wurde gleich neben dessen Unterkiefer gefunden. Computertomografische Aufnahmen vom Kiefer zeigen außerdem die Keime der permanenten Hauer, die bereits tief im Knochengewebe angelegt waren“, erläutert der Grabungsleiter Thomas Lechner. Der Unterkiefer weist ansonsten keine weiteren Zahnkeime auf, nur Milchbackenzähne. Daraus schließen die Forscher, dass die permanenten Hauer bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt der Entwicklung durchbrachen, als das Milchgebiss noch komplett war. Ganz ähnlich verhält es sich auch bei den heute lebenden Elefanten, ihren entfernten Verwandten. Die Hauer waren demnach die ersten sichtbaren Zähne im Dauergebiss dieser Tiere.

Oberer Stoßzahn (oben) und oberer dritter Backenzahn des Gomphotheren Tetralophodon lon-
girostris aus der Hammerschmiede. © A. Fatz und G. Konidaris

Die zweite Rüsseltierart der Hammerschmiede ist der elefantenartige Tetralophodon longirostris. Diese höckerzahntragenden Großsäuger unterscheiden sich von echten Elefanten und Mammuts auch durch ihre Stoßzähne im Ober- und Unterkiefer. Das bedeutendste hier entdeckte Exemplar ist ein Teilskelett eines ausgewachsenen Bullen, das bereits vor mehr als 40 Jahren durch die beiden Allgäuer Hobby-Archäologen Sigulf Guggenmos und Manfred Schmid ausgegraben wurde. Die mächtigen Stoßzähne sowie Größe und Abnutzungsgrad der Backenzähne lassen auf ein Alter zwischen 37 und 48 Jahren schließen. „Sein Lebendgewicht war gut zehn Tonnen und die Schulterhöhe etwa 3,5 Meter“, erklärt George Konidaris. Die Abnutzung der Zähne verrät den Wissenschaftlern zudem einiges über das Nahrungsspektrum der Dickhäuter. Während Tetralophodon wahrscheinlich eine Mischnahrung aus Blättern, Zweigen und Gras bevorzugte, war Deinotherium offenbar ein reiner Blattfresser. Diese unterschiedlichen Nahrungsnischen ermöglichten die Koexistenz der beiden großen Pflanzenfresser im Ökosystem Hammerschmiede.

Klimawandel

Die Funde der Dickhäuter aus dem Allgäu seien für die zeitliche Einordnung der Evolution dieser Rüsseltiere von herausragender Bedeutung, resümiert Prof. Madelaine Böhme, Leiterin des Forschungsprojektes Hammerschmiede. Das gemeinsame Vorkommen beider Arten in Europa dokumentiere einen erdgeschichtlich relativ kurzen Zeitabschnitt, der durch relative Trockenheit und sehr hohe Temperaturen gekennzeichnet war. Der nach Europa migrierte Tetralophodon habe sich in dieser Phase gegenüber primitiveren höckerzahntragenden Elefantenartigen durchgesetzt. Das nach elf Millionen Jahren zunehmend feuchter werdende Klima führte dann zu einem Umbruch bei den großen Säugetieren Europas. Die zunehmende Bewaldung bot den blattfressenden Hauerelefanten reichlich Nahrung und ermöglichte ihnen eine weitere Zunahme ihrer Körpergröße, was zur Evolution der neuen Art Deinotherium giganteum führte.

Ingrid Scholz