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„Spannende Zeiten“

GKV-Verband fordert Lauterbach zum Handeln auf

Angesichts eines zweistelligen Milliardendefizits in diesem und im kommenden Jahr fordert der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Verband) die Politik auf, endlich gegenzusteuern. Für die ärztlichen (und zahnärztlichen) Honorare könnte es aus Sicht der Kassen in den nächsten Jahren spannend werden. Die Union bringt Leistungskürzungen ins Spiel.

Auf 17 Milliarden Euro schätzen Experten das Defizit in der GKV für das Jahr 2023, und dieser Betrag ist vermutlich noch nicht das Ende der Fahnenstange. Die Corona-Pandemie, die medizinische Versorgung der Geflüchteten aus der Ukraine und kostenintensive Gesetze aus der Amtszeit des ehemaligen Bundesgesundheitsministers Jens Spahn (CDU) sind mitverantwortlich für dieses gewaltige Defizit. Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) müsse schnell tätig werden und ein GKVFinanzstabilisierungsgesetz vorlegen. Anderenfalls drohten Beitragserhöhungen mahnte die Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbands, Dr. Doris Pfeiffer, bei einer Presseveranstaltung Anfang Juni. Statt einmaliger Zuschüsse des Bundes sollte der Gesetzgeber die „regelhafte Finanzierung der GKV so gestalten, dass die Auftragsleistungen, welche die Kassen im staatlichen Auftrag erbringen, solide refinanziert werden“.

Ausgaben stiegen um 5,6 Prozent

Nach einem Bericht der „Ärzte Zeitung“ sind die Leistungsausgaben der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) laut vorläufigen Zahlen 2021 im Vergleich zum Vorjahr um 5,6 Prozent gestiegen. Grund hierfür seien vor allem die deutlichen Zunahmen bei den Arzneimittelverordnungen (plus 7,7 Prozent). Die Einnahmen stiegen pro Versichertem dagegen nur um 4,8 Prozent, was ein Minus von 4,38 Milliarden Euro für das Jahr 2021 zur Folge hatte. Jens Spahn hatte die Defizite mehrfach dadurch geschlossen, dass er die Rücklagen der Kassen angezapft hat. Sie mussten 2020 bereits fast acht Milliarden Euro an den Gesundheitsfonds abführen. Mit nur noch elf Milliarden Euro betragen die Rücklagen deutlich weniger als die durchschnittlichen GKV-Monatsausgaben (2021: 23,7 Milliarden Euro). Höchste Zeit also, das Ruder herumzureißen. Drei Stellschrauben nennt der GKV-Spitzenverband, mit denen sich schnell Kostenreduzierungen realisieren ließen: Die Absenkung der Mehrwertsteuer für Arzneimittel auf sieben Prozent, die Dynamisierung des Bundeszuschusses als Ausgleich für die versicherungsfremden Leistungen sowie die Erhöhung der Beitragspauschalen für ALG II-Empfänger auf ein kostendeckendes Niveau.

„Die aktuelle Finanzsituation der GKV ist bedenklich und erfordert umgehend Gegenmaßnahmen seitens des Bundes“, meint auch der bayerische Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU). © Bayerisches Staatsministerium für Gesundheit und Pflege

„Allein durch die Senkung der Mehrwertsteuer ließen sich sechs Milliarden Euro pro Jahr einsparen“, zitiert die „Ärzte Zeitung“ den GKV-Verband. Die Anhebung der Beitragspauschalen bei ALG II-Beziehern bringe Entlastung von zehn Milliarden Euro. Momentan decken die Zuweisungen des Bundes nur etwa die Hälfte der Kosten. Der Verband fordert zudem, den Bundeszuschuss von derzeit 14,5 Milliarden Euro bei steigenden Ausgaben dynamisch anzupassen. Hinsichtlich der Dynamisierung des Zuschusses und der Anhebung der Beitragspauschalen für Langzeitarbeitslose müsste der politische Wille vorhanden sein, sie stehen im Koalitionsvertrag. Bei der Absenkung der Mehrwertsteuer für Arzneimittel habe es in der Vergangenheit stets einen breiten Schulterschluss gegeben, sagte Pfeiffer.

Holetschek fordert Gesamtkonzept

Würden alle diese Forderungen umgesetzt, „müssten wir keine Beiträge erhöhen“, so Pfeiffer gegenüber der „Ärzte Zeitung“. Unterstützung bekommt sie auch aus Bayern von Gesundheitsminister Klaus Holetschek, der ebenfalls dringenden Handlungsbedarf sieht. „Die aktuelle Finanzsituation der GKV ist bedenklich und erfordert umgehend Gegenmaßnahmen seitens des Bundes. Bundesgesundheitsminister Lauterbach und Bundesfinanzminister Lindner müssen den Krankenkassen so frühzeitig wie möglich Planungssicherheit für 2023 geben.“ Holetschek fordert ein kluges Gesamtkonzept, welches die Versorgungsqualität in den Mittelpunkt stellt. „Der Wunsch nach unerschöpflichen Einnahmequellen wird nicht in Erfüllung gehen. Hierbei genügt es nicht, nur einen Ausgabenblock, wie den Arzneimittelsektor, in den Blick zu nehmen. Wir müssen auch klar definieren, was uns unsere Gesundheit wert ist und wo wir eventuell weniger ausgeben wollen.“ Holetschek verwies auch auf die Generation der „Babyboomer“, durch deren Eintritt ins Rentenalter sowie höhere Ausgaben infolge von Multimorbidität und medizinisch-technischem Fortschritt die Schere zwischen Einnahmen und Ausgaben immer weiter auseinandergeht.

Dr. Doris Pfeiffer, Vorsitzende des GKV-Spitzenverbandes, fordert ein Kostensenkungsprogramm und höhere Bundeszuschüsse für die gesetzliche Krankenversicherung. © GKV-Spitzenverband

Dr. Doris Pfeiffer zeigte sich bei der Presseveranstaltung enttäuscht, dass das Bundesgesundheitsministerium bis dato nicht auf die Vorschläge reagiert und entsprechende Gesetzesvorlagen auf den Weg gebracht habe. Viel Zeit bleibt Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) jedoch nicht mehr, denn schon im Herbst müssen die Krankenkassen ihre Beitragssätze neu kalkulieren und beschließen.

Von einer „Eiszeit zwischen dem Bundesgesundheitsminister und den gesetzlichen Krankenkassen“ spricht deshalb der „Tagesspiegel“. Kaum jemand dringe derzeit zu Lauterbach durch. Gespräche mit Vertretern der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen würden immer wieder abgesagt.

Beitragserhöhungen und Leistungseinschränkungen?

Tino Sorge, gesundheitspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion warnt davor, bei Arzneimitteln zu sparen. „Setzt sich dieser Vorschlag durch, würde man zahlreichen Akteuren im Gesundheitswesen einen Bärendienst erweisen. Man kann nicht einerseits den Apotheken für ihren einmaligen Einsatz danken und eine verstärkte Arzneimittel-Herstellung in Deutschland fordern, aber gleichzeitig Rabatte erhöhen und Honorare senken. Gerade bei den Apotheken wäre die vorgesehene Sparsumme ohnehin nur ein Tropfen auf den heißen Stein der Milliarden-Lücke. Wir sollten vielmehr eine mutige Debatte über die langfristige Finanzierung des GKV-Systems führen und auch unbequeme Themen wie Beitragserhöhungen und Leistungseinschränkungen ansprechen“, sagte er der Pharmazeutischen Zeitung.

Redaktion