BLZK-Vollversammlung positioniert sich zu gesundheitspolitischen Schwerpunktthemen
Zwei starke thematische Akzente setzte der Vorstand der Bayerischen Landeszahnärztekammer mit seinen Anträgen zur Vollversammlung (VV) am 23. November in München: Erstens forderte das Führungsgremium einen kompletten Neustart für die elektronische Patientenakte (ePA) und zweitens eine Offensive gegen das drohende Praxissterben in ländlichen Regionen.
Als Impulsgeber zur ePA hatte die BLZK Prof. Ulrich Kelber eingeladen. Der Diplom-Informatiker und ehemalige Bundesdatenschutzbeauftragte warnte in seinem Gastvortrag: „Der Datenbestand der ePA ist mit den Gesundheitsdaten von über 70 Millionen gesetzlich Krankenversicherten der größte Honeypot Europas.“ Doch obwohl – oder gerade weil – der gebürtige Oberfranke ein bekennender Digitalisierungsfan ist, stellte er der ePA eine ernüchternde Diagnose: Mangelhafte Einbindung in die Digitalisierung des Gesundheitswesens, in dem nach wie vor digitale Übertragungswege und verbindliche Vorschriften für Datenformate fehlten. Außerdem kritisierte er Verschlechterungen in der Sicherheitsarchitektur der ePA. In der aktuell geplanten Variante attestierte er der ePA mangelnden Nutzen für Zahnarztpraxen. „Ich habe die ePA meiner Frau angeschaut. Darin waren 21 Dokumente gespeichert. Jedes hieß ‚Dokument‘ und war ein PDF, so bringt das nichts.“
Kelber: Testphase verlängern und Daten strukturieren
Basierend auf diesem Befund verordnete Kelber anlässlich der VV einen „Behandlungsplan für die ePA“. Erste Maßnahme: Verlängern der Testphase für das hochkomplexe Digitalisierungsprojekt. „Ich halte es für fahrlässig, jetzt aufs Gaspedal zu treten, nur um vor dem Wahltermin mit dem Roll-out zu starten. Es darf auch nicht vorab festgelegt werden, dass die ePA direkt nach der Testphase einzuführen ist. Zunächst muss das Ergebnis der Testphase betrachtet werden – nach dem Motto ‚anschauen, evaluieren, entscheiden‘.“ In jedem Fall sei es notwendig, Sanktionen für die Praxen auszusetzen. Als weitere Anforderungen an die ePA nannte Kelber die Wahrung des Arztgeheimnisses, die Herstellung der Datensicherheit durch die Anbieter, die Klärung der Haftung und eine Suchfunktion über strukturierte Daten.
BLZK-Präsident Wohl: „500 Zettel bleiben 500 Zettel“
Nachdem Kelber den Delegierten Rede und Antwort gestanden hatte, nahmen diese den fachlichen Input des Datenschutz-Experten auf. In einem einstimmigen Beschluss stellte die VV fest, dass das aktuelle Konzept der ePA nicht ausgereift sei. Die Versammlung forderte den Gesetzgeber auf, das derzeitige Moratorium auch vor dem Hintergrund einer voraussichtlich neuen Regierung ab Frühjahr 2025 zu nutzen, um die Digitalstrategie der Bundesregierung und das Konzept der ePA neu aufzusetzen.
BLZK-Präsident Dr. Dr. Frank Wohl begründete die Notwendigkeit eines Neustarts für die ePA: „Wir Zahnärzte sind technikaffin und würden bei der Digitalisierung im Gesundheitswesen gerne aufs Gas treten. Aber 500 Zettel bleiben 500 Zettel, egal ob digital oder auf Papier. Die ePA braucht eine klare Struktur mit Suchfunktion. Wie soll ein Zahnarzt sonst beispielsweise die Befunde von Haus- und Fachärzten berücksichtigen? Nur wenn die ePA einen klaren Mehrwert für die Praxen in Form von Arbeitsentlastung und Kostenersparnis bringt, kann sie von den Praxen und den Versicherten akzeptiert werden.“
VV-Beschluss: Patienten brauchen Datenhoheit
Der VV-Beschluss umfasste die Forderung nach einer längeren Test- und Übergangsphase unter realen Versorgungsbedingungen, um sicherzustellen, dass alle Anwendungen in den Zahnarztpraxen funktionieren. Die Daten in der ePA seien zu standardisieren und mit einer Volltextsuche leicht auffindbar zu machen. Zudem müsse bei einer Neuaufsetzung der ePA zwingend die ärztliche Schweigepflicht gewahrt bleiben. Die Selektion von Patienten durch einen Algorithmus dürfe unter keinen Umständen möglich sein. Die Delegierten stimmten zugleich auch geschlossen für die Rückkehr zur Opt-in-Lösung. Das bedeutet, der Versicherte muss aktiv seine Zustimmung zum Erfassen und Verwenden seiner Daten geben. „Wir wollen, dass unsere Patienten auch in Zukunft souverän steuern können, wem sie welche Gesundheitsdaten anvertrauen“, präzisierte Wohl.
Offensive gegen Praxissterben
Ein weiterer Schwerpunkt, mit dem sich diese VV befasste, war die Zukunft der zahnmedizinischen Versorgung in Bayern. Auf Initiative des BLZK-Vorstands verabschiedeten die Delegierten mit einem Leitantrag einstimmig eine Offensive gegen das drohende Praxissterben in ländlichen Regionen. Darin forderte die VV die Bundes- und Landespolitik auf, die inhabergeführten, freiberuflichen Praxisstrukturen zu sichern und zu stärken. „55 Prozent der Menschen in Bayern leben im ländlichen Raum“, begründete Kammerpräsident Wohl den Leitantrag. „Indem wir uns für faire Bedingungen für die Praxen einsetzen, tun wir nicht nur unser Bestes für den eigenen Berufsstand. Wenn wir das drohende Praxissterben stoppen, tragen wir entscheidend dazu bei, dass auch der ländliche Raum in Bayern weiterhin lebenswert bleibt.“ Konkret sieht der Beschluss vor, dass die Kostenträger mit ihrer Honorierung Personalkostensteigerungen für Fachkräfte, Sachkosten und medizinisch-technische Innovationen refinanzieren. Weiter heißt es in dem Beschluss: „Bürokratie ist konsequent abzubauen“ und: „Für Patienten von Zahnärzten, die alters-, gesundheitsbedingt oder aus familiären Gründen in geringem Umfang tätig sind, ist Kostenerstattung durch die GKV auch ohne Kassenzulassung zu ermöglichen.“ Die geforderte „Offensive gegen drohendes Praxissterben in ländlichen Regionen“ beinhaltet auch einen Ausbau der Infrastruktur – „das gilt nicht nur für Straße, Schiene und Digitalisierung, sondern auch für Kinderbetreuung und Unterstützung bei der Pflege von Angehörigen“, so der Beschluss im Wortlaut. Wichtig war vielen Delegierten auch der Aspekt, dass Private-Equity-Fonds, die nahezu ausschließlich in Ballungsräumen investieren, ein Riegel vorgeschoben wird. Flankiert wurde der Leitantrag durch weitere einstimmige Beschlüsse zu passenden Themen wie „GOZNovellierung nur mit vorgeschaltetem Inflationsausgleich“ und „Heuschrecken stoppen: Schluss mit Konzernstrukturen in der Zahnmedizin!“.
Neues Leben für die Freiberuflichkeit
„Die Freiheit stirbt zentimeterweise“ zitierte der BLZK-Präsident in seiner Ansprache den ehemaligen FDP-Vorsitzenden Guido Westerwelle. „Das gilt auch für die Freiberuflichkeit“, stellte Wohl gegenüber den Delegierten klar. „Das Sterben der Freiberuflichkeit darf keinen Millimeter mehr weitergehen! Denn mit der Freiberuflichkeit stirbt auch die hohe Qualität der flächendeckenden zahnmedizinischen Versorgung.“ Wohl ermunterte die Versammlung: „Lassen Sie uns der Freiberuflichkeit neues Leben einhauchen!“ Mit diesem Ziel sei er regelmäßig mit politischen Entscheidern im Austausch. „Ich gebe den Politikern die notwendigen Werkzeuge an die Hand, damit sie für uns kraftvoll zupacken: die Hebel, um die Steine der Bürokratie aus dem Weg zu räumen, den Presslufthammer, um den Zement zu zertrümmern, in dem die GOZ seit 1988 feststeckt, und den Kescher zur Heuschreckenjagd.“ Mit Bildern und Videos veranschaulichte der Präsident in seiner Ansprache, wo er überall mit den gesundheitspolitischen Kernforderungen der Zahnärzte im Einsatz war: vom Antrittsbesuch der bayerischen Gesundheitsministerin über die von der BLZK initiierte Großkundgebung auf dem Marienplatz, Besuche bei Abgeordneten und in parlamentarischen Arbeitskreisen, bei einem Round Table der BLZK mit Kommunalpolitikern oder bei Parteitagen. Auch beim Festakt zum Bayerischen Zahnärztetag habe sich wieder das „Who‘s who“ der bayerischen Gesundheitspolitik getroffen. Wohl resümierte, das Ergebnis der politischen Aktivitäten sei nicht nur Imagepflege für die Zahnärzte gewesen. Der Dialog mit der Politik mündete im Spätsommer auch in konkreten Beschlüssen des Bayerischen Landtages zur Zukunft der zahnmedizinischen Versorgung in Bayern.
BLZK bietet Mehrwerte
Doch Wohl führte den Delegierten auch vor Augen, dass politische Aktivitäten allein nicht ausreichen, um zufriedenstellende Bedingungen für die bayerischen Zahnärzte zu schaffen. „Wir Zahnärzte müssen auch alle Möglichkeiten nutzen, um uns selbst zu helfen – nach dem Motto ‚Medice, cura te ipsum‘.“ Dazu berichtete er von den Serviceleistungen der BLZK, etwa der Roadshow „GOZ ON TOUR – Keine Leistung unter Wert“, deren zweite Staffel am 12. Februar 2025 startet. Die wichtigsten Materialien inklusive einer Planungstabelle und einem Online-Tutorial stehen auf der BLZK-Website zur Verfügung. Auch beim Kampf gegen den Fachkräftemangel habe die BLZK unter Federführung der Referentinnen Zahnärztliches Personal, Dr. Brunhilde Drew und Dr. Dorothea Schmidt, selbst gehandelt – sei es mit dem neuen Instagram-Kanal „MissionZFA“, der BZBplus-Beilage „ZFAplus“, dem „Newsletter für ZFA“, einem neuen Imagefilm, Schnuppertagen oder dem Ausbildungsvertragskonfigurator auf der BLZK-Website. Dem Fachkräftemangel unter den Zahnärzten steuere die BLZK ebenfalls mit verschiedenen Initiativen entgegen, etwa dem Zentrum für Existenzgründer und Praxisberatung (ZEP) oder mit der neuen Famulaturpraxis-Suche auf der Website der BLZK. „Solche Dinge meine ich, wenn ich vom Mehrwert der BLZK als Serviceorganisation spreche“, konstatierte Wohl.
Mattner: Fokus auf Basisarbeit
Ein Novum bei dieser VV war, dass sich die Vizepräsidentin Dr. Barbara Mattner der Ansprache des Präsidenten mit einem eigenen Bericht anschloss. Sie machte deutlich, wie sich Präsident und Vizepräsidentin bei der BLZK strategisch ergänzen. „Während der Präsident die Interessen der Zahnärzte gegenüber der großen Politik vertritt, fokussiere ich mich vor allem auf die Basisarbeit.“
Ein besonderes Anliegen sei ihr der zahnärztliche Nachwuchs. So engagiere sie sich besonders im Rahmen der Berufspolitischen Bildung und unterstütze die Arbeit der AS-Akademie.
Julika Sandt
Leiterin der Stabsstelle Politik der BLZK
DIE BESCHLÜSSE DER VOLLVERSAMMLUNG IM NETZ
Die Beschlüsse der Vollversammlung, die sich ausdrücklich an die Politik richten, sind auch auf der BLZK-Website einsehbar: www.blzk.de/blzk/site.nsf/gfx/beschluesse_blzk_vv_2024.pdf/$file/beschluesse_blzk_
vv_2024.pdf
Die wichtigsten Beschlüsse der BLZK-Vollversammlung vom 23. November werden in der
Ausgabe 1-2/2025 des Bayerischen Zahnärzteblatts (BZB) veröffentlicht.
FILM AB: GROSSVERANSTALTUNGEN DER BLZK IM JAHR 2024
Im Rahmen der Vollversammlung blickten die Delegierten auch noch einmal auf die Kundgebung am Münchner Marienplatz sowie auf den Bayerischen Zahnärztetag zurück. Zu beiden Großveranstaltungen wurden Filme produziert, die auf der BLZK-Website angesehen werden können.
Kundgebung:
https://download.blzk.de/filme/BLZK_Kundgebung_Kurzfilm.mp4
Bayerischer Zahnärztetag:
https://download.blzk.de/filme/bayerischer_zahnaerztetag_2024.mp4