„Leistungskürzungen sind unvermeidlich“

Holetschek lädt zum Gipfeltreffen – Massive Kritik an Lauterbach

Der bayerische Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) fordert eindringlich Änderungen am GKV-Finanzstabilisierungsgesetz (GKV-FinStG) der Bundesregierung.

Ende September hatte der Minister hochrangige Vertreter des deutschen Gesundheitswesens nach München zu einem Gipfeltreffen eingeladen. Über die Folgen des Lauterbachschen Gesetzes diskutierten der Präsident der Bundesärztekammer, Dr. Klaus Reinhardt, der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Dr. Andreas Gassen, der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns, Dr. Wolfgang Krombholz, der Vorsitzende des Bundesverbands der Pharmazeutischen Industrie, Dr. Hans-Georg Feldmeier, der Präsident der Bayerischen Landeszahnärztekammer und Vorstand der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Bayerns, Christian Berger, die Vizepräsidentin der Bayerischen Landesapothekerkammer und des Verbandes Freier Berufe Bayern, Franziska Scharpf, der Vorsitzende des Bayerischen Apothekerverbandes, Dr. Hans-Peter Hubmann, sowie der Geschäftsführer der Bayerischen Krankenhausgesellschaft, Roland Engehausen, folgten der Einladung.

Holetschek betonte nach dem Gipfeltreffen: „Wir sind uns einig: Der bisherige Entwurf von Karl Lauterbach ist nicht tragbar. Der Bundesgesundheitsminister muss die Kritik und Vorschläge aus den Reihen der Verbände und der Länder ernst nehmen. Wir müssen jetzt gemeinsam nach einer langfristigen Lösung suchen. Die Pandemie hat uns deutlich gezeigt, wie wichtig ein stabiles Gesundheitssystem für eine funktionierende Gesellschaft ist. Und die gesetzliche Krankenversicherung ist die Basis unseres Gesundheitssystems. Eine stabile Finanzierung ist das A und O! Das Gebot der Stunde muss Stabilisierung sein – nicht Destabilisierung.“

Holetschek unterstrich: „Der Bundesgesundheitsminister hat versprochen, dass die Versicherten keine Leistungskürzungen zu befürchten haben. Deshalb muss an der Neupatientenregelung festgehalten werden, bei der Ärzte die Behandlung neuer Patientinnen und Patienten außerhalb der Gesamtvergütung – also ohne Budgetierung – abrechnen können. Die geplante Streichung der Neupatientenregelung wird die Wartezeiten in den Arztpraxen eher noch erhöhen.“

Ausdrücklich ging Holetschek auch auf die Zahnmedizin ein: „Im zahnärztlichen Bereich müssen die geplanten Regelungen zur Rationierung der gerade erst aufgenommenen Parodontitistherapie gestrichen werden. Sonst ist eine Verschlechterung der zahnärztlichen Versorgung zu befürchten.“

Holetschek betonte: „Die Menschen müssen sich in diesen turbulenten Zeiten zumindest auf ein funktionierendes Gesundheitssystem verlassen können. Es kann nicht sein, dass sie in unserem Land noch weiter finanziell belastet werden und sich gleichzeitig ihre medizinische Versorgung in vielen Bereichen verschlechtert.“ Der Minister ergänzte: „Wenn im GKV-Finanzstabilisierungsgesetz einerseits Reserven der Krankenkassen abgeschöpft werden und die Versorgung der Menschen verschlechtert wird, andererseits notwendige Reformen nicht angepackt werden, dann ist das falsch und absolut kontraproduktiv.“

Holetschek forderte zugleich mehr Tempo bei den von Lauterbach angekündigten neuen Vorschlägen. Er warnte: „Nicht nur die GKV-Finanzen sind kritisch. Wir brauchen auch einen Schutzschirm gegen die steigenden Energiekosten. Klar ist auch: Die Unterstützung muss schnell und unbürokratisch kommen.“ Bayern setze sich bereits seit Wochen dafür ein, dass die Bundesregierung die immer stärkere finanzielle Belastung der Krankenhäuser, Reha- und ambulanten und stationären Pflegeeinrichtungen auffange. Deswegen habe der Freistaat eine entsprechende Bundesratsinitiative wegen der außerordentlichen Steigerungen bei Energie- und Sachkosten gemeinsam mit Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein eingebracht. „Ich fordere den Bundeskanzler Olaf Scholz dazu auf, bei der Ministerpräsidentenkonferenz endlich ein Entlastungspaket für diese Einrichtungen vorzulegen – sonst sehe ich einen Blackout der Versorgung auf uns zukommen“, so Holetschek.

Christian Berger, Vorsitzender des Vorstands der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Bayerns, betonte: „Das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz ist ein Frontalangriff auf die zahnärztliche Patientenversorgung in Bayern. Für begrenzte Mittel kann es auch nur begrenzte Leistungen geben.“ Berger ging auch auf die negativen Folgen der wachsenden Zahl fremdkapitalfinanzierter Medizinischer Versorgungszentren und die störungsanfällige Telematik-Infrastruktur ein. Diese Gemengelage mache die Gründung oder Übernahme einer Praxis für junge Kollegen immer uninteressanter und gefährde mittelfristig den gesetzlichen Sicherstellungsauftrag.

Redaktion

Dr. Andreas Gassen (Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung): „Es ist gut, dass wir heute mit einem breiten Bündnis von Landespolitik und Verbänden auftreten und gemeinsam betonen: Die Neupatientenregelung muss bleiben. Entgegen der Ankündigung des Bundesgesundheitsministers wäre eine Streichung leider unausweichlich verbunden mit Leistungskürzungen für die Patientinnen und Patienten. Die Neupatientenregelung wurde erst 2019 unter großem Zuspruch des MdB Lauterbach eingeführt und soll nun wieder auf Drängen des Bundesgesundheitsministers Lauterbach gestrichen werden. Die Folge wäre ein enormer Vertrauensverlust bei den niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen. Wir brauchen sichere und verlässliche politische Rahmenbedingungen, keine willkürlich anmutenden Schnellschüsse.“

Dr. Gerald Quitterer (Präsident der Bayerischen Landesärztekammer): „Das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz ist ein unprofessionell gestricktes Spargesetz. Die Streichung der Neupatientenregelung ist keine geeignete Maßnahme und muss rückgängig gemacht werden. Wir brauchen Gesetze, die nachhaltig die GKV stabilisieren und von versicherungsfremden Leistungen befreien.“

Dr. Klaus Reinhardt (Präsident der Bundesärztekammer): „Statt undurchdachter Rotstiftpolitik zur kurzfristigen Stabilisierung der Kassenfinanzen brauchen wir nachhaltige, strukturelle Reformen bei der Krankenkassenfinanzierung. Dazu gehört eine dauerhafte Anhebung und Dynamisierung des Bundeszuschusses an den Gesundheitfonds zum Ausgleich der versicherungsfremden Leistungen. Denkbar ist, Teile der Einnahmen aus der Alkohol- und Tabaksteuer als zweckgebundene Abgabe für die GKV-Finanzierung heranzuziehen. Zur Entlastung der Kassen muss der Bund endlich seiner Verantwortung gerecht werden und die Gesundheitsversorgung von ALG-II-Empfängerinnen und -Empfängern kostendeckend refinanzieren. Außerdem sollte der Gesetzgeber den Mehrwertsteuersatz auf Arzneimittel von jetzt 19 Prozent auf sieben Prozent reduzieren, so wie schon jetzt bei Grundnahrungsmitteln und Tierarzneimitteln. Allein das würde die Krankenkassen um rund sechs Milliarden Euro im Jahr entlasten und das gesamte System nachhaltig stabilisieren.“

Dr. Wolfgang Krombholz (Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns): „Die angedrohte Rücknahme der Neupatientenregelung hat das Fass für die bayerischen Praxen zum Überlaufen gebracht. Nicht nur dieser Wortbruch der Berliner Politik sorgt für Frust: Auch das unangemessen niedrige Honorarplus, das weder die Inflation noch die explodierenden Energie- und Personalkosten in den Praxen ausgleichen wird, ein EBM, der zur Zwangsjacke der vertragsärztlichen Versorgung geworden ist, sowie eine fehleranfällige Telematik-Infrastruktur, die wertvolle Zeit für die Patientinnen und Patienten kostet, sind Motivationskiller für die Praxen und alle ihre Mitarbeitenden, denen weiterhin ein staatlicher Corona-Bonus vorenthalten wird. Dies gefährdet nachhaltig die ambulanten Versorgungsstrukturen in Bayern.“