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Kinderschutz klappt nur in Kooperation

Staatsregierung setzt auf Zusammenarbeit von Medizinern und Behörden

Ärzte und Zahnärzte gehören häufig zu den Ersten, die Spuren von Vernachlässigung, körperlicher Verletzung oder Missbrauch wahrnehmen. Dann heißt es, schnell und richtig reagieren. Über die neue RemApp der Bayerischen Kinderschutzambulanz können sich Mediziner und Experten der Jugendhilfe nun schnell und zielorientiert vernetzen.

In Bayern gibt es ein großes Netzwerk fachbezogener Stellen und Einrichtungen, die sich intensiv mit Strategien, Fahrplänen und Handreichungen für den Kinderschutz befassen. Ärzte und Kliniken sind dabei, psychische Einrichtungen, die Jugendämter, Hebammen- und Pflegeverbände, Juristen und viele mehr. Verdachtsmomente, aber auch akute Gewalttaten landen sehr häufig bei der Bayerischen Kinderschutzambulanz am Institut für Rechtsmedizin in München. Hier wird zu allen Gewaltformen beraten, ganz gleich ob körperliche, sexualisierte oder seelische Gewalt und Vernachlässigung.

Seit vergangenem Jahr geschieht dies zusätzlich über die „RemApp“, eine Weiterentwicklung der früheren Plattform Remed-Online an der Rechtsmedizin. Die RemApp vernetzt Experten unterschiedlicher Fachrichtungen aus Medizin und Jugendhilfe. Komplexe Fälle können hierüber in einer virtuellen Fallkonferenz per Video erörtert werden. So kann eine zeit- und wohnortnahe Hilfe erfolgen, vor allem auch in strukturschwacheren Regionen, in denen die Wege zur nächsten offiziellen Anlaufstelle meist weit sind.

Fakt ist, dass sich die meisten Missbrauchsfälle im geschützten, oft familiären Raum ereignen. Nur ein Bruchteil der Vergehen wird überhaupt aufgedeckt oder kommt zur Anzeige. Frühzeitiges Erkennen und Handeln funktioniert jedoch nur wirksam auf Basis einer engen, interdisziplinären Zusammenarbeit. Ärzte und Zahnärzte nehmen hier eine wichtige Rolle ein. Sie sind diejenigen, die als Außenstehende bei den regelmäßigen Früherkennungs- und Vorsorgeuntersuchungen sehr frühzeitig Ungereimtheiten im Verhalten oder gar äußerliche Beeinträchtigungen erkennen können. „Wenn in einer Praxis ein Verdachtsfall auftritt, dann können Zahnärzte je nach Einschätzung des Falles die Kinder und Jugendlichen entweder direkt darauf ansprechen, die Eltern befragen oder sich beispielsweise beim Jugendamt beraten lassen“, so Prof. Dr. Elisabeth Mützel, Leiterin der Bayerischen Kinderschutzambulanz, im BZB-Interview (BZB 1–2/2022). In diesem Fall unterliege man auch nicht mehr der ärztlichen Schweigepflicht. „Bei Gewalt gegen Kinder und Jugendliche gibt es Möglichkeiten, Daten weiterzugeben. Beim Vorliegen gewichtiger Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung sind hier Zahnärzte sogar verpflichtet, dieses zu tun.“ (Gemeint sind Ärzte und Zahnärzte, Anm. d. Red.)

Anlaufstelle zum Schutz des Kindeswohles ist auch das „KoKi – Netzwerk frühe Kindheit“, das vor allem regional mit den zuständigen Stellen kooperiert. Das bayernweite Netzwerk vereint Träger der freien Jugendhilfe mit regionalen Institutionen aus dem Gesundheitsbereich, den Schwangerschaftsberatungsstellen, der Behindertenhilfe und vielen mehr. Hier geht es um den präventiven Schutz des Kindeswohles von der Geburt an bis ins junge Erwachsenenalter und darum, familiäre Belastungssituationen und Risikofaktoren für die kindliche Entwicklung und das Kindeswohl zu erkennen und zu entschärfen.

Ingrid Scholz

E-LEARNING ZUM KINDERSCHUTZ
Im Rahmen des Bayerischen Gesamtkonzeptes zum Kinderschutz können Ärzte, Zahnärzte sowie andere Gesundheitsberufe Online-Fortbildungen buchen. Diese vermitteln, wie man Gewalt in jeglicher Form sowie Vernachlässigung überhaupt erkennen kann. Die kostenlosen Online-Kurse sind abrufbar unter www.fortbildungsakademie-im-netz.de/fortbildungen/kinderschutz