Liebe Kolleginnen und Kollegen,
Profilierungs- und Grabenkämpfe gegen uns Zahnärzte sind nichts Neues. Neu ist aber, dass die Angriffe nicht irgendwo von links kommen oder von Krankenkassen, die ihre Geldtöpfe mit Zähnen und Klauen verteidigen, sondern von Ärzten: Der 128. Deutsche Ärztetag hat festgestellt, die intravenöse Gabe von Sedativa unterliege dem Arztvorbehalt. Explizit werden Zahnärztinnen und Zahnärzte in dem Beschluss als „Nichtärzte“ etikettiert, die nur „unter Aufsicht eines Arztes“ sedieren dürften. Was für ein Schlag ins Gesicht! Der trifft nicht nur uns Zahnärzte; der Ärztetagsbeschluss ist vor allem eine Attacke auf unsere besonders vulnerablen Patienten – Menschen mit Behinderung, Phobiker oder Patienten, bei denen sehr schmerzhafte Eingriffe anstehen.
Gravierende Zwischenfälle bei der intravenösen Sedierung sind weder bei uns in Bayern noch bei der Bundeszahnärztekammer bekannt. Pikanterweise haben bei den schlagzeilenträchtigen Strafverfahren, bei denen die balkendicken Überschriften dann meist „Tod beim Zahnarzt (!)“ lauten, in der Regel Fachärzte für Anästhesie gröblich versagt. Die Antragsteller des unglückseligen Antrages sollten ihre politische Energie eher darauf richten, dass solche Fehlleistungen unterbleiben.
Wovon haben sich unsere humanen Medizinerkollegen bloß leiten lassen, als sie den Beschluss initiiert haben? Es kann ihnen jedenfalls kaum darum gehen, dass sie uns bei Zahnbehandlungen gerne öfter zur Seite stünden – ist es doch fast unmöglich, einen Anästhesisten zu finden, wenn etwa eine Vollnarkose zur Behandlung eines behinderten Kindes nötig ist. Wenn die zahnärztliche Versorgung der schwächsten Mitglieder unserer Gesellschaft gefährdet wird, weil eine Gruppe wie die Fachärzte für Anästhesie einerseits nicht genügend Behandlungen unter Narkose ermöglicht, andererseits aber die IV-Sedierung durch qualifizierte Zahnärzte und Oralchirurgen mithilfe polemisch und unsachlich formulierter Beschlüsse wie den des 128. Ärztetages kippen will, dürfte die Öffentlichkeit kaum Verständnis aufbringen. Hier sind tatsächlich Belange des Gemeinwohles berührt!
Je stärker uns der gesundheitspolitische Wind ins Gesicht bläst, umso weniger dürfen wir Heilberufler uns spalten lassen! Der Präsident der Bundesärztekammer Dr. (I) Klaus Reinhardt hat – in anderer Funktion, nämlich als Vizepräsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe – Stellung zu dem Beschluss bezogen und sich „für die missverständliche Formulierung des Antrages“ ausdrücklich entschuldigt: „Selbstverständlich sind auch Zahnärztinnen und Zahnärzte von uns geschätzte Ärztinnen und Ärzte.“ Das ist aller Ehren wert! Darüber hinaus ist der nächste Deutsche Ärztetag gefordert, diesen gemeinwohlschädlichen Beschluss aufzuheben.
Ihr
Dr. Dr. Frank Wohl
Präsident der Bayerischen Landeszahnärztekammer