Foto: © mihakonceptcorn – stock.adobe.com

Häusliche Gewalt erkennen und dokumentieren

KZVB unterstützt Zahnärzte – Fortbildung im Institut für Rechtsmedizin

Die Zahlen sind alarmierend: Nach Angaben des Bundeskriminalamtes gab es im vergangenen Jahr mehr als 143 000 Opfer von häuslicher Gewalt. In den vergangenen fünf Jahren sind die Opferzahlen um insgesamt 3,4 Prozent gestiegen. Die Dunkelziffer stufen Expertinnen und Experten weitaus höher ein. Ärzte und Zahnärzte gehören häufig zu den Ersten, die Anzeichen wahrnehmen.

Wie man mit einem Verdacht umgeht, darüber hat die KZVB ihre Mitglieder mehrfach informiert. Unter anderem in einem Interview mit Prof. Dr. Elisabeth Mützel, Leiterin der Bayerischen Kinderschutzambulanz, im BZB 1-2/2022. „Wenn in einer Praxis ein Verdachtsfall auftritt, dann können Zahnärzte je nach Einschätzung des Falles die Kinder und Jugendlichen entweder direkt darauf ansprechen, die Eltern befragen oder sich beispielsweise beim Jugendamt beraten lassen. In diesem Fall unterliegt man auch nicht mehr der ärztlichen Schweigepflicht. Bei Gewalt gegen Kinder und Jugendliche gibt es Möglichkeiten, Daten weiterzugeben. Beim Vorliegen gewichtiger Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung sind hier Zahnärzte sogar verpflichtet, dieses zu tun“, so Mützel.

Die Zahnärztin Dr. Jana Bregulla beschäftigte sich in ihrer Dissertation an der Universität Münster damit, welche Rolle Zahnärztinnen und Zahnärzte bei der Erkennung von häuslicher Gewalt spielen können. Sie fand heraus, dass trotz der Brisanz des Themas wissenschaftliche Studien, die den Zusammenhang zwischen der zahnmedizinischen Versorgung und häuslicher Gewalt untersuchen, rar sind – im deutschsprachigen Raum sogar nicht existent. Ihre Schlussfolgerung: „Es fehlt den Zahnärzten an grundlegenden Kenntnissen über die Anzeichen häuslicher Gewalt, wie sie entsprechende Fälle richtig dokumentieren, wie sie mit den Opfern kommunizieren und ihnen professionell helfen können.“

In ihrer Dissertation untersuchte Bregulla auch, welche Maßnahmen andere Länder zur Erkennung und Behandlung von häuslicher Gewalt umsetzen. „Empirische Studien an einer US-amerikanischen zahnmedizinischen Hochschule zeigen beispielsweise auf, dass gezielte Vorlesungsmodule das Wissen der Studierenden über die gesundheitsbezogenen traumatischen Ereignisse vergrößern und ihr Selbstvertrauen bei der Behandlung von Opfern verbessern“, sagt die Zahnärztin, die in der Poliklinik für Prothetische Zahnmedizin und Biomaterialien des Universitätsklinikums Münster arbeitet. „Für Deutschland sehe ich großen Aufholbedarf – einige der Studien könnten daher als Best-Practice-Beispiele dienen.“

Die KZVB-Bezirksstellen München und Oberbayern laden am 20. November zu einer Fortbildung
im Institut für Rechtsmedizin der Universität München ein, bei der es unter anderem um das
Thema „Häusliche Gewalt“ gehen wird. Teilnehmen können alle bayerischen Vertragszahnärzte.

Dreh- und Angelpunkt sei die Kommunikation zwischen Arzt und Patient. Zahnärzte hätten oft falsche Vorstellungen von Opfern von Gewalttaten, die meisten hätten keine formale Aus- oder Weiterbildung mit Blick auf häusliche Gewalt erhalten. Das führe oftmals zur Zurückhaltung, Patienten auf ihre Verletzungen anzusprechen. „Um diese Hemmungen abzubauen, wäre es sinnvoll, Rollenspiele, Kommunikations- und Simulationstrainings rund um das Thema häusliche Gewalt im Medizinstudium regelmäßig einzubauen. Das Studienhospital der Universität Münster bietet dazu optimale Lehr- und Lernbedingungen“, so die 27-jährige Zahnärztin. Verletzungen im Gesichtsbereich können auf häusliche Gewalt hinweisen. Charakteristische Verletzungen sind zum Beispiel Zahnabsplitterungen, der Riss des Oberlippenbändchens, Verletzungen der Oberlippe oder Kieferfrakturen.

Zahnärzte sind häufig die Ersten, manchmal auch die Einzigen, die die Betroffenen konsultieren. Zwar unterliegen sie einer gesetzlichen Schweigepflicht bei Verdacht auf Gewalttaten. Gleichwohl gebe es Möglichkeiten, aktiv zu werden. Eine solche Möglichkeit ist die Bereitstellung forensischer Befundbögen. Die KZVB stellt ihren Mitgliedern bereits seit 2009 einen Untersuchungsbogen „Forensische Zahnmedizin“ auf der Website kzvb.de als Download zur Verfügung, der zusammen mit dem Institut für Rechtsmedizin der Universität München entwickelt wurde. Die Verwendung des Untersuchungsbogens erleichtert die Befunderhebung. Die Entnahme und Asservierung von Spuren komplettiert die Auswertung und dient auch im Falle einer späteren Anzeigeerstattung zur Beweisführung.

In Bayern gibt es ein großes Netzwerk fachbezogener Stellen und Einrichtungen, die sich intensiv mit Strategien, Fahrplänen und Handreichungen für Opfer häuslicher Gewalt, vor allem auch bei Kindern und Jugendlichen, befassen. Das bayerische Familienministerium lädt regelmäßig zu einem runden Tisch ein, an dem auch die KZVB teilnimmt. Ärzte und Kliniken, die Jugendämter, Hebammen- und Pflegeverbände tauschen sich dort fachlich aus. Die frühere bayerische Familienministerin Carolina Trautner betonte in einem Gastbeitrag für das BZB 1-2/2022 die Bedeutung des Kinderschutzes für die Staatsregierung. „Wir haben die Pflicht, unsere Kinder vor Gefahren zu schützen, damit sie gewaltfrei und unversehrt aufwachsen können. Der Kinderschutz ist eine gesamtgesellschaftliche Daueraufgabe von höchster Priorität und steht ganz oben auf der Agenda.“ Sie verwies auch darauf, wie wichtig die Zusammenarbeit der niedergelassenen Ärzte und Zahnärzte mit den zuständigen Behörden ist. „Wenn Ärztinnen und Ärzte oder Fachkräfte der Jugendämter Verletzungen bei Kindern sehen, deren Ursache fragwürdig ist, kommt es darauf an, dass sie schnell reagieren und die Verletzungen richtig einordnen. Deshalb ist das Team der Bayerischen Kinderschutzambulanz als bayernweite Anlaufstelle rund um die Uhr an sieben Tagen in der Woche erreichbar.“

Aus aktuellem Anlass bieten die KZVB-Bezirksstellen München und Oberbayern zudem eine Fortbildung an, bei der es auch um das Thema „Häusliche Gewalt“ geht. Sie findet am 20. November um 18 Uhr im Institut für Rechtsmedizin der Universität München statt. Teilnehmen können alle bayerischen Vertragszahnärzte. Die Anmeldung erfolgt unter https://www.kzvb.de/praxisfuehrung/fortbildungstermine/veranstaltungsanmeldung/detail/rechtsmedizin.