Gerlachs Premiere beim Festakt des Bayerischen Zahnärztetages
Er stand zwar nicht auf der Gästeliste, dennoch war Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach (SPD) bei der Eröffnung des 65. Bayerischen Zahnärztetages in München allgegenwärtig. Von mehreren Seiten gab es teils harsche Kritik an seiner – nach Ansicht der meisten Redner verfehlten – Gesundheitspolitik der letzten Jahre, die auch die Berufsausübung von Zahnmedizinern deutlich erschwert habe. Dagegen feierte die seit einem Jahr amtierende Staatsministerin für Gesundheit, Pflege und Prävention, Judith Gerlach (CSU), eine gelungene Premiere beim traditionellen Festakt, der wie der gesamte Fortbildungskongress von der Bayerischen Landeszahnärztekammer organisiert und von der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Bayerns unterstützt wird.
Dr. Dr. Frank Wohl, Präsident der BLZK, wandte sich in seiner Eröffnungsrede vor etwa 300 Ehrengästen aus Politik, Standespolitik, Wissenschaft und Gesundheitswesen mit einem flammenden Appell an den Bundesgesundheitsminister und promovierten Epidemiologen: „Lassen Sie die Zahnmedizin nicht ausbluten. Sie sind ein Verfechter des Impfens und Boosterns: Geben Sie ihr eine Booster-Spritze! Damit unsere Patienten im ländlichen Raum auch morgen noch einen Zahnarzt finden.“
„Volle Power für die Freiberuflichkeit“
Wissenschaftlicher Fortschritt, politische Rahmenbedingungen und gesellschaftliche Veränderungen würden sich aktuell in einer nie dagewesenen Dynamik entwickeln, so Wohl. „Deshalb sind wir mehr denn je gefordert, kluge und zukunftsorientierte Entscheidungen zu treffen.“ Dies gelte vorrangig für existenzielle Entscheidungen, etwa zwischen einer Anstellung oder einer Niederlassung.
Dem zahnärztlichen Berufsstand empfahl er „volle Power für die Freiberuflichkeit und für faire Bedingungen, damit Sie sich auch morgen noch hoffnungsvoll niederlassen können“. Denn, so der BLZK-Präsident weiter, der Schritt in die eigene Praxis biete nicht nur die Chance, die eigene berufliche Vision autonom zu verwirklichen. „Wer sich als Zahnarzt für die Niederlassung entscheidet, übernimmt auch Verantwortung, die zahnmedizinische Versorgung aktiv mitzugestalten und zu verbessern.“
Damit die Niederlassung in eigener Praxis wieder an Attraktivität gewinne, brauche der Berufsstand allerdings eine faire Vergütung, die der wissenschaftlichen Entwicklung und den wirtschaftlichen Notwendigkeiten gerecht werde. Der Kammerpräsident dazu: „Wir wollen und müssen unsere Zahnmedizinischen Fachangestellten fair bezahlen. Da ist es völlig inakzeptabel, dass die zahnärztliche Gebührenordnung seit 1988 nicht angepasst wurde!“
An die Politik gerichtet, sagte Wohl: „Entscheiden Sie bitte so, dass eine Niederlassung als Zahnarzt wieder attraktiv wird. Unsere Praxen müssen sich auf die Behandlung der Patienten konzentrieren können. Helfen Sie uns und räumen Sie dazu bitte die Steine der Bürokratie aus dem Weg!“ Entbürokratisierung bedeute freilich nicht, „Papier in PDF-Dateien umzuwandeln“, so der BLZK-Präsident weiter. Gleiches gelte für die elektronische Patientenakte (ePA) – für Wohl „derzeit ein Schuhkarton, in dem ein Sammelsurium an unsortierten und unstrukturierten Zetteln drin ist“. Damit sei jedoch niemandem geholfen.
Judith Gerlach, Bayerische Staatsministerin für Gesundheit, Pflege und Prävention, bescheinigte den Zahnärzten, „ein existenzieller Teil unserer Gesundheitsversorgung“ zu sein – in einer Zeit, in der insbesondere der Gesundheitsbereich vor großen Herausforderungen stehe. Nicht zuletzt deshalb wolle sie sich für bessere Rahmenbedingungen einsetzen, damit der Zahnarztberuf attraktiv bleibt. „Dazu gehört selbstverständlich auch eine Erhöhung des GOZ-Punktwertes. Der Bund sollte hier endlich handeln, sonst verstößt er gegen die gesetzliche Auflage aus dem Zahnheilkundegesetz, den berechtigten Interessen der Zahnärzte Rechnung zu tragen“, so die Staatsministerin. Eine GOZ-Anpassung würde überdies Spielraum schaffen, um die Praxisangestellten angemessen zu entlohnen und den ZFA-Beruf attraktiver zu machen.
Auch in Sachen Entbürokratisierung müsse der Bund „endlich liefern und seinen angekündigten Gesetzentwurf zum Bürokratieabbau vorlegen“. Dagegen habe Bayern die Dringlichkeit längst erkannt. „Mit aktiver Beteiligung von BLZK, KZVB und weiteren Akteuren der ambulanten Versorgung haben wir Vorschläge zum Abbau von Bürokratie auf Landes- und Bundesebene erarbeitet“, betonte Gerlach. Die CSU-Politikerin versicherte den bayerischen Zahnärzten darüber hinaus, in puncto Regulierung von iMVZ „fest an ihrer Seite“ zu stehen. Deren Konzentration auf die Ballungsräume gefährde die flächendeckende ambulante Versorgung.
Lauterbachs toxischer Cocktail
Dr. Rüdiger Schott, Vorsitzender des Vorstands der KZVB, äußerte scharfe Kritik an der Gesundheitspolitik der Ampel-koalition: „Seitdem das Bundesgesundheitsministerium von Karl Lauterbach geleitet wird, wissen wir, welchen Schaden eine Fehlbesetzung in einem der wichtigsten Ressorts anrichten kann. Mich erinnert der Gastprofessor aus Harvard an einen Grundschüler, der zu Weihnachten einen Chemiebaukasten bekommen hat. Und genau dazu ist unser Gesundheitswesen geworden.“ Anhand eines mitgebrachten Reagenzglasständers mit sechs verschiedenfarbigen Reagenzgläsern erläuterte er, wie derzeit bei den Zahnärzten „herumexperimentiert wird“. Symbolisch standen die Reagenzgläser für folgende Problemfelder: Budgetierung, Digitalisierung, GOZ, Bürokratie, Personalmangel und investorenfinanzierte MVZ, Letztere von Schott als „Heuschrecken“ bezeichnet. Sein Fazit: „Lauterbach hat uns einen toxischen Cocktail gebraut, der vielen die Freude an der Niederlassung vermiest.“ Allerdings wüssten die Zahnärzte aus ihrem Studium, „dass es für fast jedes Gift ein Gegenmittel gibt“. Eines davon trage den Namen „Selbstverwaltung“ und habe den Zahnärztinnen und Zahnärzten in Bayern bis dato Budgetüberschreitungen erspart.
Tobias Gotthardt, Staatssekretär im Bayerischen Staatsministerium für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie, hob die wirtschaftliche Bedeutung der Zahnärzte hervor. „Die bayerischen Zahnärzte leisten einen wichtigen Beitrag für die exzellente Gesundheitsversorgung. Sie sind auch ein wichtiger Wirtschaftsfaktor, und das soll in Zukunft so bleiben“, sagte der Landtagsabgeordnete der Freien Wähler. „Wir setzen uns dafür ein, dass der Zahnarztberuf wieder an Attraktivität gewinnt. Unnötige Bürokratie muss abgebaut werden, damit die Zahnärzte wieder mehr Zeit für ihre Patienten haben. Die Digitalisierung muss sich am Alltag der Zahnärzte orientieren und ihre Berufsausübung erleichtern. Die Zahnärzteschaft und die Politik stehen vor großen Herausforderungen, aber als Staatssekretär bin ich zuversichtlich, dass wir mit ,Bavarian Mut‘ den kleinen, aber feinen Unterschied ausmachen können. Bayerns Anspruch ist es, sich vom politischen Frontzahntrauma und der daraus resultierenden Schockstarre abzusetzen – für eine Gesundheitspolitik, die flächendeckend funktioniert.“
„Kipppunkt des Sozialsystems verhindern“
Prof. Dr. Christoph Benz, Präsident der Bundeszahnärztekammer, sah die deutsche Zahnmedizin auf einem guten Weg, auch wenn das finanziell angeschlagene Gesundheitswesen und insbesondere die soziale Pflegeversicherung aktuell für viele Negativschlagzeilen sorge. Ein drohender Kipppunkt des Sozialsystems, der wegen der demografischen Entwicklung bereits von einigen Experten vorhergesagt werde, müsse „unbedingt verhindert werden“. Benz warb in seinem Grußwort für eine positivere Denkweise innerhalb der Zahnärzteschaft: „Wir üben einen der schönsten Berufe auf dieser Erde aus und sollten ihn daher nicht schlechtreden, sondern vielmehr seine Vorzüge hervorheben.“ Diese Botschaft gelte es, jungen Zahnärztinnen und Zahnärzten zu vermitteln. Zudem genieße der Berufsstand das „große Privileg der Selbstverwaltung“, so Benz.
Prof. Dr. Johannes Einwag, Referent Fortbildung der BLZK und Wissenschaftlicher Leiter des Bayerischen Zahnärztetages, moderierte die Eröffnungsveranstaltung. Mit dem Leitthema „Das Frontzahntrauma – was nun, was tun?“ habe die BLZK in diesem Jahr eine der „Königsdisziplinen der Zahnmedizin“ ausgewählt, sagte er. In der Praxis gehe es dabei im Grunde um Notfallmedizin, die wiederum „schnelle, aber auch nachhaltige Lösungen“ voraussetzt.
Thomas A. Seehuber
AUF DER SUCHE NACH DER PERFEKTEN STRATEGIE
In die Welt der Taktiken, Strategien und Entscheidungen entführte der Festredner Prof. Dr. Axel Ockenfels die Gäste des Festaktes. In welche Ecke soll der Elfmeterschütze schießen? Wann ist es für einen Bieter ratsam, aus einer Auktion auszusteigen? Wie kann das Verhalten in Märkten gesteuert werden? Der Wirtschaftswissenschaftler von der Universität zu Köln kennt Antworten auf solche Fragen – und nutzt sie gezielt, um verfeinerte Vorhersagen zu treffen, die wiederum erfolgreichere Strategien zur Bewältigung etlicher gesellschaftlicher Herausforderungen nach sich ziehen sollen.
Ockenfels, der zugleich Direktor des Max-Planck-Institutes zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern in Bonn ist, gilt als einer der führenden Vertreter einer modernen, empirisch ausgerichteten Volkswirtschaftslehre und als Experte auf dem Gebiet der Spieltheorie. Dieser Denkansatz versucht, in Modellen zu analysieren, wie sich Menschen in Konfliktsituationen entscheiden. Bekannt wurde Ockenfels durch seine Arbeit im Bereich der experimentellen Wirtschaftsforschung. Heute wird seine Expertise weltweit von Regierungen, Ministerien und Unternehmen nachgefragt.
Sein Credo: Spieltheorie, Psychologie und künstliche Intelligenz ermöglichen enorme Fortschritte bei der Entschlüsselung menschlichen Verhaltens. Anhand von Beispielen aus Praxis und Forschung zeigte Ockenfels auf, wie die moderne ökonomische Verhaltensforschung helfen kann, die Rationalität und Irrationalität des Menschen zu „vermessen“. Im Festvortrag ging er auch der Frage nach, ob es ein Mittel gegen irrationales Verhalten im Gesundheitsbereich gibt. Sein Rezept: Um das Verhalten in die richtige Richtung zu lenken, brauche es „eine Entscheidungsarchitektur, die berücksichtigt, was dem Menschen guttut“. Ockenfels weiter: „Der Schlüssel für die richtige Strategie ist es, zu verstehen, wie die anderen ticken.“
tas