Prof. Dr. Kai Kolpatzik (2. v. l.) stellte die Ergebnisse seiner Studie zur Mundgesundheit bei einer Pressekonferenz in München vor, an der auch die bayerische Gesundheitsministerin Judith Gerlach (Mitte) teilnahm.
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„Fake News gefährden die Gesundheit“

Prof. Dr. Kai Kolpatzik über Kommunikation in der Medizin

Die Gesundheitskompetenz der Deutschen hat sich in den vergangenen Jahren erheblich verschlechtert. Viele Patienten verstehen nicht mehr, was ihnen ihr Arzt oder Zahnarzt sagen will. Prof. Dr. Kai Kolpatzik ist Chief Scientific Officer beim Wort & Bild Verlag, der die „Apotheken Umschau“ herausgibt. Im Auftrag seines Arbeitgebers hat er zusammen mit Prof. Dr. Orkan Okan von der TU München eine Studie zur sinkenden Gesundheitskompetenz verfasst. Wir sprachen mit ihm über Ursachen und Lösungsansätze.

BZB: Sie beschäftigen sich seit zwei Jahrzehnten mit den Themen Prävention und Gesundheitskompetenz. Frustriert es Sie, dass die Zahlen immer schlechter werden?

Kolpatzik: Wenn wir uns die Entwicklung der Gesundheitskompetenz in Deutschland in den letzten zehn Jahren anschauen, hatten 2014 noch 54 Prozent der erwachsenen Bevölkerung eine geringe Gesundheitskompetenz. Diese verschlechterte sich bis 2020 auf 64 Prozent und jetzt in den aktuellen Ergebnissen vom Sommer 2024 auf 75 Prozent. Damit fällt drei von vier Personen der Umgang mit Gesundheitsinformationen besonders schwer. Andere Länder wie Österreich haben eine andere Entwicklung genommen und konnten mit geeigneten Maßnahmen die Gesundheitskompetenz in der Bevölkerung verbessern. Unsere aktuelle Studie ist deshalb als Weckruf zu verstehen. Wir müssen immer bedenken, dass hinter den Zahlen Menschen stehen, die Schwierigkeiten haben, Entscheidungen zu treffen, die sich positiv auf ihre eigene Gesundheit oder das Krankheitsmanagement auswirken und damit eine geringere Lebensqualität oder gar verringerte Anzahl von gesunden Lebensjahren haben. Deswegen ist es keine Frustration, sondern eine Notwendigkeit, hier dringend weiter aktiv zu sein.

BZB: Das Internet sollte die Menschen ja eigentlich schlauer machen. Wie erklären Sie sich, dass 75 Prozent der Deutschen Schwierigkeiten im Umgang mit Gesundheitsinformationen haben?

Kolpatzik: Heutzutage arbeiten automatisierte Chatbots mit gezielten Fehlinformationen und Fake News sind im Internet salonfähig geworden. Wir dürfen nicht abwarten und hoffen, dass sich die Menschen schon irgendwie im Informationsdschungel zurechtfinden und gute Entscheidungen treffen. Alle Untersuchungen zeigen, dass die Menschen die größten Probleme damit haben, die Bewertung der Verlässlichkeit von Gesundheitsinformationen vorzunehmen. Dies trifft übrigens auch zu einem größeren Teil auf die unterschiedlichsten Berufsgruppen im Gesundheitssystem zu. Deswegen braucht es laienverständliche, verlässliche und evidenzbasierte Informationen wie beispielsweise auf den Websites apothekenumschau.de oder gesundheitsinformation.de. Wenn wir uns darüber hinaus das Gesundheitssystem anschauen, ist dieses äußerst komplex und für Laien schwer durchschaubar. Deshalb verwundert es auch nicht, dass die Notaufnahmen so stark und unverhältnismäßig in Anspruch genommen werden. Konkret braucht es im Gesundheitssystem Lotsen- und Navigationssysteme für eine adäquate Inanspruchnahme von Leistungen. Eine Stärkung der Apotheke vor Ort als eine der zentralen Anlaufstellen im Gesundheitswesen ist hier, wie im Koalitionsvertrag vorgesehen, beispielsweise ein wichtiger Schritt.

BZB: Sie gehen davon aus, dass die geringe Gesundheitskompetenz Mehrkosten in Milliardenhöhe verursacht. Können Sie Beispiele hierfür nennen?

Kolpatzik: Die Folgekosten einer mangelnden Gesundheitskompetenz für unser Gesundheitssystem belaufen sich nach WHO-Schätzungen auf bis zu 24 Milliarden Euro im Jahr. Menschen mit niedriger Gesundheitskompetenz sind beispielsweise häufiger und länger krankgeschrieben, sie gehen öfter in die Arztpraxen und in die Notaufnahme und sie müssen etwa doppelt so häufig in Kliniken stationär behandelt werden.

BZB: Deutschland liegt bei der Gesundheitskompetenz auch international nur im Mittelfeld. Was machen andere Länder besser?

Kolpatzik: Eine Steigerung der Kommunikationsqualität von Gesundheitsprofessionen hat sich zum Beispiel in Österreich als einer der erfolgreichen Ansätze zur Steigerung der Gesundheitskompetenz herausgestellt. Im Gegensatz zu Deutschland konnte diese dort in den vergangenen Jahren deutlich verbessert werden. So wurde das Thema Gesundheitskompetenz in Österreich nach der Veröffentlichung der Ergebnisse auf der europäischen Ebene 2012 weit oben auf die Agenda gesetzt und fand sich kurze Zeit später als eine der zentralen Säulen im dortigen Präventionsgesetz wieder. Strukturen wurden mit Augenmaß aufgebaut und eine „österreichische Plattform Gesundheitskompetenz“ gegründet, die die entsprechenden Aktivitäten koordiniert und antreibt. In den Niederlanden werden wiederum die Patientenorganisationen viel stärker und von Beginn an in die Entscheidungen in Bezug auf das Gesundheitssystem und die Versorgung eingebunden. Die Weltgesundheitsorganisation hat das Thema in der Shanghai-Charta 2016 neben den Antibiotikaresistenzen als eines von drei Topthemen, die dringend angegangen werden müssen, priorisiert. Von daher muss es auch in Deutschland dringend auf die Agenda gesetzt werden. Und eine kleine Anmerkung noch … Bei der digitalen Gesundheitskompetenz ist Deutschland im europäischen Vergleich mittlerweile sogar Schlusslicht.

BZB: Sie stellen zehn Forderungen an die Politik. Wovon versprechen Sie sich den größten Nutzen?

Kolpatzik: In Kurzform geht es darum, bei den Kindern früh mit der Gesundheitsbildung und der Stärkung der Medienkompetenz anzufangen und so zum Beispiel auch die an Kinder gerichtete Werbung für ungesunde Lebensmittel und das Influencer-Marketing einzuschränken. Im Gesundheitssystem braucht es Lotsen- und Navigationssysteme für eine adäquate Inanspruchnahme von Leistungen. Aber auch neue Felder wie die psychische Gesundheitskompetenz oder die digitale Gesundheitskompetenz müssen angegangen werden. Folgen wir dem Beispiel von Österreich, ist es die Verbesserung der Kommunikationsqualität.

BZB: Stichwort elektronische Patientenakte (ePA): Wird sich dadurch die Gesundheitskompetenz verbessern?

Kolpatzik: Obwohl die Umsetzung der ePA ein richtiger und wichtiger Schritt ist, kann sie ein PDF-Friedhof bleiben, wenn Informationen in Fachsprache und ohne Kontext dargestellt werden. Eine Chance sehe ich in der Anwendung von künstlicher Intelligenz. Sie lässt sich dazu nutzen, um Informationen für Patientinnen und Patienten individueller, relevanter und verständlicher zu machen und einen Mehrwert zu bieten.

BZB: Die Zahnärzte gelten als Vorreiter einer präventionsorientierten Medizin. Fast jeder Deutsche geht regelmäßig zur Vorsorgeuntersuchung. Karies ist deshalb massiv zurückgegangen. Kann man das auf andere Medizinbereiche übertragen?

Kolpatzik: Viele Patientinnen und Patienten machen sich Sorgen um ihre Mundgesundheit und nutzen deswegen regelmäßig die Vorsorgeuntersuchungen. Auch das Bonusheft spielt hier eine entscheidende Rolle. Der Zuschuss der gesetzlichen Krankenkassen für Zahnersatz erhöht sich damit von 60 auf bis zu 75 Prozent. Als weiteren wichtigen Effekt wurde damit ein Mittel zur Steigerung der Adhärenz etabliert, was bei Vorsorgeuntersuchungen oder Lebensstiländerungen eine wichtige Grundlage ist. Bei Vorsorgeuntersuchungen wie der Früherkennung von Brust- und Darmkrebs gibt es keine einheitlichen Regelungen. Viele gesetzliche Krankenkassen bieten bei der Nutzung von Präventionsangeboten zwar Boni an, doch deren Konditionen und Höhe unterscheidet sich. Wie bei den zahnärztlichen Vorsorgeuntersuchungen muss der Mehrwert klar vermittelt und erlebbar werden. Dann würde auch dort die Akzeptanz und Nutzung steigen.

BZB: Stimmen Sie der These zu, dass eine gute Versorgung weniger vom Versicherungsstatus abhängt als vom Wissensstand des Patienten?

Kolpatzik: Eine gute Versorgung hängt vor allem von den Rahmenbedingen ab, in denen ich meine Entscheidungen treffe. Deshalb engagieren wir uns als Wort & Bild Verlag insbesondere mit unserem Magazin „Apotheken Umschau“ so stark im Bereich der evidenzbasierten und laienverständlichen Gesundheitsinformationen. Wir haben damit eine Verantwortung gegenüber 18 Millionen Leserinnen und Lesern jeden Monat, die auf dieser Basis Entscheidungen für ihre eigene Gesundheit oder die ihrer Familienangehörigen treffen. Damit verbessern wir nicht nur die individuelle Versorgung, sondern stärken auch die Eigenverantwortung und entlasten das Gesundheitssystem. An diesen Rahmenbedingungen muss auch die Politik arbeiten, deshalb ist die Umsetzung der zehn Forderungen so wichtig.

BZB: Vielen Dank für das Gespräch!

Die Fragen stellte Leo Hofmeier.