Der Bayerische Landtag beschloss am 16. August 1923 das Gesetz über die Bayerische Ärzteversorgung (im Bild das Titelblatt). Mit Wirkung zum 1. Oktober 1923 wurde das Versorgungswerk errichtet.

Ein Jahrhundert Bayerische Ärzteversorgung

Altersversorgung in eigener Verantwortung

Als größtes und ältestes berufsständisches Versorgungswerk in Deutschland ist die Bayerische Ärzteversorgung (BÄV) seit 100 Jahren für die Alterssicherung von über 150 000 ärztlichen, zahnärztlichen und tierärztlichen Mitgliedern und deren Hinterbliebenen in Bayern sowie den Staatsvertragsgebieten verantwortlich. Zum runden Jubiläum sprechen Dr. Michael Förster, 1. stellvertretender Vorsitzender des Verwaltungsausschusses der BÄV sowie Referent Ärzteversorgung der BLZK, und Maike Albrecht, Co-Referentin Ärzteversorgung der BLZK und Mitglied des Landesausschusses der BÄV, über die Geschichte und Gegenwart des Versorgungswerkes.

Dr. Michael Förster ist Referent Ärzteversor-
gung der BLZK und 1. stellvertretender Vorsit-
zender des Verwaltungsausschusses der BÄV. © BLZK
Maike Albrecht ist Co-Referentin Ärzteversor-
gung der BLZK und Mitglied des Landesaus-
schusses der BÄV. © BLZK

BZB: 100 Jahre – ein Zeitraum mit vielen bewegenden Ereignissen: Katastrophen, Krisen und neuen Aufbrüchen. Wie kam es eigentlich zur Errichtung der Bayerischen Ärzteversorgung?

Förster: Die Grundansätze zur Einführung einer berufsständischen Altersversorgung reichen weit bis in das 19. Jahrhundert zurück. Diese Gedanken wurden auch später immer mal wieder aufgegriffen, jedoch erst am 1. Oktober 1923 mit der Gründung der BÄV tatsächlich realisiert. Vor dem Ersten Weltkrieg war der Zahnarzt als Angehöriger des gehobenen Mittelstandes durchaus in der Lage, durch Vermögensbildung für sich selbst und die eigene Familie zu sorgen. Umso problematischer war es, dass die Hyperinflation Anfang der 1920er-Jahre die private Eigenvorsorge fast vollständig entwertet hatte. Ruheständler und Witwen der freien Berufe standen in diesen Tagen vor dem Nichts, zumal ihnen auch die Solidargemeinschaft der gesetzlichen Rentenversicherung verschlossen blieb. Ein häufig gebrauchtes Schlagwort sprach damals vom „Todeskampf des Mittelstandes“. In dieser extremen Notlage setzte sich im Berufsstand die Überzeugung durch, dass eine gemeinschaftlich organisierte Alters-, Berufsunfähigkeits- und Hinterbliebenenversorgung dringend erforderlich sei.

Albrecht: Die Erfolgsgeschichte der BÄV begann, nachdem Verhandlungen der Standesvertreter mit der privaten Versicherungswirtschaft gescheitert waren. Die Absicherung durch einen Gruppenversicherungsvertrag erwies sich nach gründlicher Prüfung als unrealistisch, da es für einen Großteil der Freiberufler schlichtweg unmöglich gewesen wäre, die erforderlichen hohen Beiträge aufzubringen. Deshalb setzte sich bei den Berufsständen der Zahnärzte, Ärzte und Tierärzte die Auffassung durch, dass eine ausreichende und bezahlbare soziale Sicherung nur über eine Pflichtversicherung mit Beitragsumlage zu erreichen sei. Die damalige Bayerische Versicherungskammer, eine Oberbehörde des Freistaates Bayern, war der richtige Adressat für diese Initiative, weil sie die rechtlichen und fachlichen Voraussetzungen dafür bot, das angestrebte Pflichtsystem zu verwalten.

BZB: Wer die mühevollen Anläufe von der Idee bis zur Realisierung kennt, weiß, welche Errungenschaft ein berufsständisches Versorgungswerk ist.

Förster: Absolut. Vor Gründung des ersten berufsständischen Versorgungswerkes in Deutschland mussten viele Schwierigkeiten überwunden werden. Mit Fingerspitzengefühl und der festen Überzeugung, zum Wohle der drei Berufsstände tätig zu sein, wurden alle Klippen umschifft. Die Errichtung der BÄV war aber auch ein Unterfangen mit vielen Risiken. Es gab keine grundlegenden versicherungsmathematischen Erfahrungen, auf die man hätte zurückgreifen können. Heute sind wir zu großem Dank verpflichtet, dass sich die damaligen Standesvertreter nicht von ihrem Weg haben abbringen lassen. Diese – damals gewiss kühne – Idee hat ihre Berechtigung und Belastungsfähigkeit in einem die Dauer von einem Jahrhundertleben umfassenden Zeitraum, angefüllt mit grundlegenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen, sichtbar bestanden.

Albrecht: Am 1. Oktober 1923 nahm die neue Versorgungseinrichtung ihre Tätigkeit unter aus heutiger Sicht geradezu absurd erscheinenden Verhältnissen auf. Das „Gesetz über die Bayerische Ärzteversorgung“ sah einen einmaligen staatlichen Gründungsbeitrag von einer Milliarde Mark vor, der als Grundstock ungeschmälert dem Vermögen erhalten bleiben sollte. Doch als dieser Betrag dem jungen Versorgungswerk überwiesen wurde, hätte er wegen der rasant fortschreitenden Geldentwertung nicht einmal ausgereicht, um damit die Kosten für den Druck der Satzung zu begleichen. Auch die Einkommensverhältnisse der Zahnärzte – und damit ihre Möglichkeit zur Beitragsleistung – waren bis zum Ende der Hyperinflation geradezu trostlos. Und dennoch: Ein politisch fast revolutionärer Schritt war vollzogen. Es gab zum ersten Mal eine soziale Sicherung, die die Eigeninitiative und Solidarität des Berufsstandes mit der Durchsetzungsmacht des öffentlichen Rechtes kombinierte.

Die Inflation 1923 ist ein historisches Trauma der Deutschen, das bis heute nachwirkt. Binnen Stunden rasten die Preise nach oben, am Ende waren die Banknoten nicht das Papier wert, auf dem sie standen.

BZB: Mitte der 1920er-Jahre konnte man in den sogenannten „Goldenen Zwanzigern“ auch wieder hoffnungsvoll und optimistisch in die Zukunft blicken. Die junge Weimarer Republik schien politisch und ökonomisch Fuß zu fassen. Doch dann kam die Weltwirtschaftskrise.

Förster: Die glänzende wirtschaftliche Entwicklung bis zum Ende der 1920er-Jahre erweckte den Eindruck, als ob langfristig eine verhältnismäßig sorglose Zeit wiederkehren würde. Auch dem Versorgungswerk war es damals möglich, zusätzliche Leistungen zu gewähren. Doch die Verhältnisse änderten sich rasch, denn im Herbst 1929 endete der globale Aufschwung. Der spektakuläre Börsenabsturz an der New Yorker Wall Street vom 24. Oktober 1929 („Black Thursday“) markierte den Auftakt für eine Krise, die später als „Große Depression“ die gesamte Weltwirtschaft erfassen sollte. Natürlich blieb das Versorgungswerk in der Folge von stürmischen Zeiten nicht verschont. Beitrags- und Zinseinnahmen gingen zurück, die Stabilität war jedoch in keiner Weise beeinträchtigt.

BZB: Was änderte sich mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten?

Albrecht: Das gesamte Sozialversicherungsrecht einschließlich der staatlichen Einrichtungen wurde nach den Maßstäben der nationalsozialistischen Ideologie durchleuchtet und angepasst. Eine berufsständisch verfasste und demokratisch verwaltete Standeseinrichtung passte nicht in das politische Bild der Machthaber. Mehrfach wurden Versuche unternommen, nicht nur die Rechtsgrundlagen der BÄV, sondern auch deren gesamte Existenz infrage zu stellen. Da das Versorgungswerk nicht bei einer berufsständischen Kammer, sondern organisatorisch bei der Bayerischen Versicherungskammer als Behörde im Geschäftsbereich des Bayerischen Innenministeriums verankert war, konnte es allerdings nicht ohne Weiteres gleichgeschaltet werden. In schwierigen und zähen Verhandlungen gelang es, die Selbstständigkeit der Einrichtung zu erhalten, jedoch wurden die Mitwirkungsrechte des Landesausschusses stark eingeschränkt.

BZB: War die Krise das Merkmal der Weimarer Republik, so stand die Bundesrepublik im Zeichen von Aufstieg und Wirtschaftswunder. Wie ging es nach dem Zweiten Weltkrieg weiter?

Förster: Der Verwaltungsbetrieb wurde auch nach Kriegsende ohne nennenswerte Unterbrechung fortgeführt. Im Zuge der Währungsreform 1948 konnte das Versorgungswerk zudem beweisen, dass es auch in Extremsituationen in der Lage ist, wirtschaftliche Sicherheit zu gewährleisten. Nach der Währungsgesetzgebung war die BÄV lediglich zur Auszahlung eines Zehntels der am Währungsstichtag bereits laufenden Versorgungsbezüge verpflichtet. Aus Verantwortung den Ruhegeldempfängern gegenüber wurde – trotz gegenteiliger Anordnung der amerikanischen Militärführung – eine wesentlich günstigere Umstellung vorgenommen, und schon bald konnten die Versorgungsleistungen im Verhältnis 1:1 ausgezahlt werden. Vor allem nach der erfolgreichen Bewältigung der Folgen des Zweiten Weltkrieges war es naheliegend, dass die Altersversorgungseinrichtung zum Vorbild für all diejenigen Freiberufler wurde, die nunmehr aus dem neuen Desaster die gleichen Konsequenzen zogen, nämlich den Entschluss, berufsständische Versorgungswerke aufzubauen.

Albrecht: Einen entscheidenden Wendepunkt für die immer umfassendere Ausgestaltung des Leistungssystems stellte das Jahr 1957 dar. Im Vorfeld der parlamentarischen Beratungen zur Adenauer´schen Rentenreform fand eine breite sozialpolitische Diskussion statt, die nicht nur die Ausgestaltung von Beitragshöhe und Leistungen betraf, sondern auch die Frage, welche Gruppen in das staatliche Rentenversicherungssystem einbezogen werden sollten. Der Deutsche Bundestag verweigerte den Angehörigen der kammergebundenen Freien Berufe schließlich die Aufnahme in die gesetzliche Rentenversicherung. Praktisch in letzter Minute gelang es den berufsständischen Vertretern der BÄV, im damaligen § 7 Absatz 2 des Angestelltenversicherungsgesetzes das Befreiungsrecht der angestellten Berufsangehörigen zugunsten der Versorgungswerke durchzusetzen. Mit dieser „Magna Charta“ wurde die tragfähige Grundlage für die flächendeckende Einrichtung weiterer Versorgungswerke für niedergelassene und angestellte Angehörige der verkammerten Freien Berufe geschaffen.

BZB: Nun ein zeitlicher Sprung: Auch im neuen Jahrtausend waren eine Menge Aufgaben zu lösen. Auf welche Veränderungen musste das Versorgungswerk reagieren?

Albrecht: Es kam zu einem tiefgreifenden Wandel in den politischen, rechtlichen und ökonomischen Rahmenbedingungen. Der Rückgang der Zinserträge durch die Niedrigzinsphase erforderte eine noch breitere Diversifizierung der Vermögensanlage. Unerlässlich war es, vor allem die unbeliebten Begleitumstände der demografischen Entwicklung anzugehen, um die berufsständische Altersversorgung für jüngere Kolleginnen und Kollegen auf eine sichere Basis zu stellen. Unbequeme, aber notwendige Maßnahmen wie die stufenweise Anhebung der Regelaltersgrenze auf 67 Jahre und die Beitragssatzreformen haben wesentlich dazu beitragen, dass die BÄV auch künftig gut aufgestellt bleibt. Die stabile Entwicklung des Versorgungswerkes zeigt, dass es sich auszahlt, Herausforderungen nicht aufzuschieben, sondern sich ihnen frühzeitig zu stellen.

BZB: Was zeichnet das Versorgungswerk aus, gestern wie heute?

Förster: Die Errichtung einer gemeinsamen Altersabsicherung war das Werk einiger Visionäre. Grundsätze und Tugenden, die sie den Nachfolgegenerationen mit auf den Weg gaben, haben bis heute Bestand. Solide in der strategischen Ausrichtung, effizient in der Organisation, dabei stets den Mitgliedern verpflichtet. Das ist das Vermächtnis einer wechselvollen Historie. Unser Versorgungswerk ist kerngesund und solide ausfinanziert, obwohl es nicht mit Steuergeldern subventioniert wird. Erhöhungen von Versorgungsleistungen und Anwartschaften müssen daher mit viel Augenmaß vorgenommen werden. Gerade auch mit Blick auf die jungen Kolleginnen und Kollegen richtet sich die Geschäftspolitik stets am versicherungsmathematisch Machbaren und Vertretbaren aus. Und dennoch: Betrachten wir das entscheidende Rentenniveau, so steht unser Versorgungswerk, unter Zugrundelegung gleicher Beitragszahlungen, im System der Altersversorgungseinrichtungen vergleichsweise gut da.

Albrecht: Unser Versorgungswerk entspricht dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Subsidiarität und ist Ausdruck gelebter Solidarität innerhalb der Zahnärzteschaft. Die in den Gremien ehrenamtlich tätigen Mitglieder sind selbst Angehörige des Berufes und kennen daher die damit einhergehenden Belange und Erfordernisse. Die unmittelbare Mitwirkung der Betroffenen in der Selbstverwaltung sorgt dafür – nicht selten besser und wirksamer als jede staatliche Regulierung es könnte –, die vielfältigen Herausforderungen einer praktikablen und an der Lebenswirklichkeit orientierten Lösung zuzuführen. Kundennähe und Serviceorientierung verkommen somit nicht zu einer reinen Werbebotschaft.

BZB: Vielen Dank für das Gespräch.