Interview mit Prof. Dr. Rainer Hahn, Leiter der Abteilung Prävention an der Danube Private University Krems
Sie fordern „Schluss mit Abtöten“. Warum sehen Sie antibakterielle Prophylaxe-Maßnahmen zunehmend kritisch?
Prof Hahn: Die uns besiedelnden Bakterien (die sogenannten Mikrobiome) und unser Organismus haben sich im Zuge der Evolution gemeinsam in einer Symbiose entwickelt. Viele Stoffwechselprodukte, die unser Körper zum Leben benötigt, stellen die Bakterien für uns her (auch im Mund). Biofilme sind deren natürlicher Lebensraum und nicht kausal krankheitserregend. Ferner reguliert ein eubiotisches Mikrobiom Pathobionten und schützt damit vor Erkrankungen wie Karies oder Parodontitis.
Ein wiederkehrendes Abtöten aller Bakterien im Zuge antibakterieller Prophylaxe-Maßnahmen reduziert Pathobionten wie Eubionten, eine Verschiebung der im Krankheitsfall dysbiotischen zur gesunden eubiotischen Flora bleibt aus. Auch die Umfeldbedingungen, die zur dysbiotischen Flora geführt haben (z. B. zuckerreiche Ernährung oder Zahnfleischtaschen), werden durch antibakterielle Konzepte nicht kausal beeinflusst. Darüber hinaus werden durch antibakterielle Maßnahmen wichtige gesundheitsfördernde Bakterien reduziert, die z. B. auf dem Zungengrund Nitrat aus der Nahrung reduzieren und wichtige Signalmoleküle z. B. bei der Blutdruckregulation bilden.
Welche Alternativen empfehlen Sie?
Prof. Hahn: Unser Ziel muss sein, orale Bakterien zu lenken, statt sie zu eliminieren, indem wir stabile Voraussetzungen schaffen für eine eubiotische Mundflora. Es gilt Eubionten im Wachstum gezielt zu fördern und Pathobionten selektiv zu hemmen.
Begleitend zur Behandlung von Krankheiten wie Karies oder Parodontitis können Probiotika z. B. als Lutschtabletten oder Sachets 1x täglich verabreicht werden (z. B. OraLactin, Cumdente). Probiotika enthalten lebende Bakterien, die mittels bakterieller Signalstoffe (sog. Bacteriocide) Pathobionten selektiv hemmen können und so allmählich zu einer Verschiebung hin zu einer gesunden Mundflora beitragen.
Brandneu sind Zahnpasten und Mundspülungen mit Pre- und Postbiotika (OraLactin). Prebiotika basieren auf natürlichen Ballaststoffen oder Aminosäuren, die das Wachstum der gesundheitsfördernden Keime selektiv begünstigen; Postbiotika sind genau die bakteriellen Signalmoleküle, die Pathobionten selektiv hemmen. So kann beim täglichen Zähneputzen oder Spülen eine dysbiotische Flora regeneriert und eine eubiotische Flora stabilisiert werden.
Wie setzen Sie das in der Praxis um?
Prof. Hahn: Wir begleiten jede PA-Therapie, PZR oder UPT (bei Entzündungszeichen) wie auch alle entzündlichen periimplantären Behandlungen mit der Gabe von Probiotika. Danach empfehlen wir generell eine pre- und postbiotische häusliche Mundhygiene, z. B. OraLactin Zahncreme mit Fluorid ab dem 6. Lebensjahr oder ggf. auch begleitend OraLactin Mundspülung ab dem 3. Lebensjahr, zumeist jedoch bei Erwachsenen mit Zahnfleischentzündungen.
Professor Hahn, vielen Dank für das Interview.