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„Die gematik war der Geburtsfehler“

KZVB-Vorstand sieht ePA-Pflicht kritisch – Zusätzliche Bürokratie für die Praxen

Bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens setzt Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) den Kurs seines Vorgängers Jens Spahn (CDU) fort. Der schleppende Ausbau der Telematik-Infrastruktur (TI) soll per Gesetz vorangetrieben, die elektronische Patientenakte (ePA) zur Pflichtanwendung werden. Gesetzlich versicherte Patienten müssten der Speicherung ihrer Gesundheitsdaten dann aktiv widersprechen. Wir fragten den Vorstand der KZVB, was das für die Vertragszahnärzte bedeutet.

BZB: Deutschland hinkt bei der Digitalisierung seines Gesundheitswesens hinterher. Ist ein Digitalisierungsgesetz der richtige Ansatz, um dem E-Rezept und der ePA zum Durchbruch zu verhelfen?

Schott: Die KZVB hat unmittelbar nach Bekanntwerden der Lauterbach-Pläne darauf hingewiesen, dass man die Akzeptanz neuer Technologien nicht per Gesetz verordnen kann. Deutschland hinkt bei der Digitalisierung seines Gesundheitswesens aus mehreren Gründen hinterher. Der „Geburtsfehler“ war meines Erachtens die Gründung der zunächst halbstaatlichen und mittlerweile komplett verstaatlichten gematik im Jahr 2005 durch die damalige Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD). Der Berliner Flughafen, die Elbphilharmonie und das Beschaffungswesen der Bundeswehr zeigen, dass es immer dann teuer und kompliziert wird, wenn der Staat etwas selbst in die Hand nimmt.

„Wir Zahnärzte sind keine Digitalisierungsverweigerer, aber neue Technologien müssen einen
Mehrwert mit sich bringen, damit sie akzeptiert werden“, meint der Vorstand der KZVB mit
Blick auf die ePA-Pflicht.

BZB: Sie meinen also, dass ein IT-Unternehmen die Digitalisierung des Gesundheitswesens besser hinbekommen hätte als die gematik?

Schott: Nicht ein, sondern viele Unternehmen! Das Monopol der gematik ist ja eine der Ursachen für die Probleme, mit denen wir jeden Tag in unseren Praxen konfrontiert sind. Hinzu kommt ein Oligopol bei den Konnektor-Herstellern. Die KZVB war deshalb auch eine von sieben KZVen, die beim GKV-Spitzenverband Anzeigen wegen Korruptionsverdacht erstattet hat. Der Austausch Tausender von Konnektoren spült einem Hersteller einen zweistelligen Millionenbetrag in die Kassen. Die Notwendigkeit wird aber von zahlreichen IT-Experten bezweifelt. Es stellt sich also die Frage, ob hier GKV-Gelder zweckwidrig verwendet wurden. Außerdem ist allgemein bekannt, dass die Telematik-Infrastruktur störungsanfällig und wenig benutzerfreundlich ist.

BZB: Welche weiteren Gründe gibt es für die deutschen Defizite?

Kober: Wir sind zu Recht beim Datenschutz sensibler als andere Länder. Gesundheitsdaten sind die intimsten Informationen, die ein Mensch preisgeben kann. Immer wieder kommt es deshalb zu Hackerattacken auf Einrichtungen des Gesundheitswesens. In Australien wurde Ende letzten Jahres der größte Krankenversicherer Opfer eines Cyberangriffs. Die Daten von Millionen Kunden wurden abgeschöpft und teilweise im Darknet veröffentlicht, darunter Informationen über Abtreibungen, HIV oder Drogenabhängigkeit. Die Täter forderten ein Lösegeld von über sechs Millionen Euro. Die australische Regierung verdächtigt ein russisches Netzwerk. Ähnliche Vorfälle gab es in Schweden, Singapur und den USA. Klar ist: Was gespeichert ist, kann gestohlen werden. Und die im Rahmen der ePA geplante zentrale Speicherung der Daten von rund 73 Millionen gesetzlich Versicherten ist geradezu eine Einladung an Cyberkriminelle. Aus gutem Grund hat auch der Bundesdatenschutzbeauftragte immer wieder auf datenschutzrechtliche Defizite bei der TI hingewiesen.

BZB: Die gematik verspricht ein hohes Sicherheitsniveau durch ein dreistufiges Sicherheitskonzept …

Kober: Hier lohnt ein Blick ins Kleingedruckte. Die gematik stellt nämlich auch klar, dass sie die TI gar nicht selbst betreibt. Und damit sind wir bei Haftungsfragen. Was passiert, wenn sich ein Unbefugter über eine Arzt- oder Zahnarztpraxis Zugang zur TI verschafft? Wer haftet dann? Dazu hat meine Kollegin Dr. Marion Teichmann einen sehr guten Kommentar in der letzten Ausgabe des BZB geschrieben.

Teichmann: Anlass für meinen Kommentar waren Sicherheitslücken in einem Praxisverwaltungssystem, das in Arztpraxen zum Einsatz kommt. Der Bundesdatenschutzbeauftragte fordert zu Recht eine höhere Haftungspflicht der Hersteller. Denn selbstverständlich können auch kleine Arzt- oder Zahnarztpraxen gehackt werden. Müssen wir dann nachweisen, dass wir alle Sicherheitsbestimmungen eingehalten haben? Wir haben uns ja die Konnektoren nicht freiwillig in die Praxen gestellt. Vor der Einführung der TI haben viele Kollegen ganz bewusst darauf verzichtet, die Praxis-IT mit dem Internet zu verbinden. Deswegen fordere ich, dass man uns nun von jeder Haftung entbindet. Für die Risiken, die mit der TI einhergehen, müssen die politisch Verantwortlichen haften.

BZB: Wie stehen Sie zu der geplanten Opt-out-Lösung?

Teichmann: Bei der Organspende haben wir in Deutschland eine Opt-in-Regelung. Ich muss also zu Lebzeiten aktiv einwilligen, wenn ich meine Organe nach meinem Tod einem anderen spenden will. Diese Entscheidung wird übrigens nirgends zentral gespeichert. Liegt kein Spenderausweis oder eine Zustimmung der Angehörigen vor, dürfen auch keine Organe entnommen werden. Bei der Speicherung von Gesundheitsdaten soll dagegen die Einwilligung automatisch unterstellt werden. Das halte ich für den falschen Ansatz. Bislang nutzen weniger als ein Prozent der gesetzlich Versicherten die ePA. Es wäre besser, hier Überzeugungsarbeit zu leisten, als eine Widerspruchslösung ins Gesetz zu schreiben. Es wird sich zeigen, wie viel Versicherte der Speicherung ihrer Daten widersprechen.

BZB: Sie warnen vor dem bürokratischen Aufwand, der mit der ePA verbunden ist.

Schott: Es ist allgemein bekannt, dass wir in der Zahnmedizin einen Fachkräftemangel haben, der in einigen Praxen bereits zu einer Einschränkung der Behandlungen führt. Das liegt unter anderem auch am hohen Bürokratieaufwand. Die Befüllung der ePA sorgt für zusätzliche Bürokratie, die im BEMA mit vier beziehungsweise zwei Punkten nicht besonders hoch vergütet wird. Mir ist es lieber, wenn unsere Mitarbeiterinnen am Behandlungsstuhl stehen und nicht vor dem Computer sitzen. Jede Minute, die wir für Verwaltungsaufgaben benötigen, fehlt bei der Patientenversorgung. Ich darf in diesem Zusammenhang auch darauf verweisen, dass die meisten BEMA-Leistungen seit 1. Januar wieder budgetiert sind, weil die Krankenkassen angeblich kein Geld mehr haben. Gleichzeitig investiert man aber Milliarden in die TI. Ich kann nur sagen: Erst die Pflicht, dann die Kür. Herr Lauterbach sollte erst einmal die KCH- und PAR-Leistungen vollumfänglich vergüten, bevor er die ePA und deren Befüllung zur Pflichtanwendung macht.

BZB: Kann die Digitalisierung nicht auch Vorteile mit sich bringen?

Kober: Wir Zahnärzte sind sicher keine Digitalisierungsverweigerer. Digitales Röntgen, Intraoralkameras, 3D-Scanner, OnlineTerminvergabe – das setzen viele Praxen schon seit Jahren ein. Uns stört vor allem der gesetzliche Zwang, mit dem die Digitalisierung vorangetrieben werden soll. Neue Technologien müssen einen Mehrwert mit sich bringen, damit sie akzeptiert werden. Der ist bei der ePA im Bereich der Zahnmedizin aber kaum vorhanden, weil wir nur sehr selten interdisziplinär arbeiten. Und selbst der Pflicht-ePA kann der Patient ja widersprechen. Und dann bleibt es bei der bisherigen Anamnese und dem Datenaustausch per Fax, USB-Stick oder CD-ROM.

BZB: Vielen Dank für das Gespräch!

Die Fragen stellte Leo Hofmeier.