Beitrags-Beben durch Politik der Ampelkoalition – Krankenkassen fordern Sofortmaßnahmen
Eine insolvente Sozialversicherung – das hat es in Deutschland noch nicht gegeben. Doch die Ampelkoalition schafft auch das. Die gesetzliche Pflegeversicherung warnte davor, dass sie ihre Verpflichtungen nicht mehr erfüllen kann, wenn die Politik nicht handelt. Massive Beitragserhöhungen sollen nun das Milliardenloch stopfen. Auch die Renten- und Krankenkassenbeiträge steigen im nächsten Jahr. Aber reicht das?
Bereits kommenden Februar drohe der Pflegeversicherung Zahlungsunfähigkeit, sofern nicht sofort gehandelt werde, berichtete das „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ Anfang Oktober unter Berufung auf Koalitionskreise. Konkret: Laut dem GKV-Spitzenverband könnte das Defizit bis Jahresende knapp 1,8 Milliarden Euro ausmachen. Die Ampelregierung sucht händeringend nach Lösungen, aber kann sie dies schaffen, ohne dass die Sozialversicherungsbeiträge ins Uferlose steigen und für viele Menschen nicht mehr stemmbar sind? Die Krankenkassen hatten schon vor einiger Zeit eine Beitragserhöhung von 0,2 Prozent ins Spiel gebracht, doch ist dies allen Expertenmeinungen nach viel zu gering, um die prekäre Lage in den Griff zu bekommen. Mindestens 0,25 Prozent müssten es sein, um die Zahlungsfähigkeit zu sichern, so die GKV-Vorstandsvorsitzende Doris Pfeiffer. Andere sprechen gar von 0,3 Prozent. Seit Monaten werde bereits von allen Seiten vor dieser Entwicklung gewarnt. Höhere Beiträge heißt ja für Verbraucher, dass im Portemonnaie weniger hängen bleibt. Single-Haushalte und Kinderlose trifft es ganz besonders. Schon heute werden ihnen 3,4 bzw. 4 Prozent des Einkommens für die Pflegeversicherung abgezogen. Eine Beitragserhöhung in der Pflege käme noch zu dem in der Krankenversicherung erwarteten Plus von 0,7 Prozentpunkten hinzu. Damit könnten die Sozialbeiträge zum Jahresanfang 2025 so stark steigen wie seit über 20 Jahren nicht mehr.
Sofortmaßnahmen erforderlich
Pfeiffer nannte „zwei Sofortmaßnahmen zur kurzfristigen Stabilisierung der Pflegeversicherung“, um eine Beitragssatzanhebung abzuwenden. Es gehe hier um den finanziellen Ausgleich der rund 5,3 Milliarden Euro Sonderausgaben aus Corona-Zeiten, die die Pflegeversicherung belastet hatten. Außerdem um die Übernahme der Rentenbeiträge für pflegende Angehörige, die in diesem Jahr bei rund 4 Milliarden Euro, im kommenden Jahr schon bei 4,5 Milliarden Euro lägen. Bei beiden müsse der Bund einspringen. „Mit diesen rund 9 Milliarden Euro müssten wir nicht schon wieder über Beitragserhöhungen sprechen und es gäbe ein Zeitfenster, um die Pflegeversicherung solide zu reformieren“, so Pfeiffer.
Pfeiffers Argumentation wird durch ein aktuelles Rechtsgutachten flankiert. Die Juristin Prof. Dr. Dagmar Felix von der Universität Hamburg hat im Auftrag der DAK-Gesundheit nämlich genau diesen Punkt untersucht. Ihr Ergebnis: Milliardenbeträge, die während der Corona-Pandemie unter anderem für Tests und Boni für Beschäftigte in der Pflege aus den Pflegekassen gezahlt wurden, fehlen den Sozialkassen. Der Bund hatte die Pflegekassen 2020 gesetzlich verpflichtet, Zahlungen im Rahmen der Pandemiebewältigung an anspruchsberechtigte Pflegeeinrichtungen zu leisten. Finanziert werden mussten diese Maßnahmen vornehmlich aus dem Ausgleichsfonds der sozialen Pflegeversicherung – und damit in erster Linie aus Sozialversicherungsbeiträgen. Diese unterliegen allerdings einer strengen Zweckbindung und dürfen ausschließlich eingesetzt werden, um den Versicherungsschutz der Beitragszahlenden zu gewährleisten. Demnach seien den Kassen „gesetzliche Zahlungsverpflichtungen auferlegt worden, die nicht der Finanzierung der Sozialversicherung, sondern der Finanzierung von gesamtgesellschaftlichen Aufgaben dienten“, heißt es in dem Gutachten. Bei dieser Verwendung von Beitragsgeldern für pandemiebedingte Maßnahmen handle es sich um eine verfassungswidrige Zweckentfremdung. „Ein Zugriff auf Sozialversicherungsbeiträge ist verwehrt, weil ansonsten Sozialversicherungsbeiträge zur Finanzierung des allgemeinen Staatshaushaltes verwendet würden“, so die Juristin Felix. Dabei gehe es nicht um eine „gerechtere Finanzierung der Kosten der Pandemie“, sondern um eine Überschreitung der verfassungsrechtlichen Grenzen für deren Umgang. Die Tests in Pflegeheimen hätten das Ziel gehabt, eine Ausbreitung des Virus in der Gesamtbevölkerung zu verhindern. Mit dem speziellen Risiko der Pflegebedürftigkeit habe die Testung nichts zu tun gehabt. Auch die Kosten der Pflege-Boni als Anerkennungsleistung für besonders belastete Pflegekräfte seien eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.
Rückzahlungen könnten Beitragserhöhungen bremsen
„Das Ergebnis unseres Rechtsgutachtens ist eindeutig“, sagt auch DAK-Vorstandschef Andreas Storm. In der Pandemie habe es einen Rückgriff auf Beitragsgelder gegeben, der angesichts der akuten Finanzprobleme zwingend korrigiert werden müsse. „Wenn die Rückzahlung nicht umgehend erfolgt, ist dies verfassungswidrig und hätte fatale Folgen. Der Pflegeversicherung droht in wenigen Monaten die Zahlungsunfähigkeit. Der zentrale Grund dafür ist, dass die Bundesregierung die rechtlich zwingend gebotene Rückzahlung der aus den Rücklagen der Pflegeversicherung getätigten Corona-Schutzausgaben bislang nicht geleistet hat. Wenn die erforderlichen Finanzmittel in Höhe von 6 Milliarden Euro noch in diesem Jahr bereitgestellt werden, kann für die Versicherten die drohende Beitragserhöhung zum Jahreswechsel vermieden werden.“ Denn damit können nicht nur der für 2025 drohende massive Beitragsanstieg in der Pflegeversicherung verhindert werden. Auch hätte man so den erforderlichen Spielraum zur Vorbereitung der von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach geplanten großen Pflegereform.
Im Koalitionsvertrag der Ampelregierung war eine Refinanzierung dieser pandemiebedingten Zusatzkosten aus Steuermitteln zugesichert worden. Geflossen ist bislang verteilt auf die Jahre 2020, 2021 und 2022 ein Bundeszuschuss in Gesamthöhe von 5,5 Milliarden Euro. Dieser sollte verhindern, dass im Ausgleichsfonds der Pflegekassen das gesetzliche Rücklagesoll unterschritten wird. Allerdings deckt diese Summe noch nicht einmal die Hälfte der Gesamtkosten ab, die den Kassen durch die Übernahme der pandemiebedingten Sonderbelastungen entstanden sind.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach wiegelte indessen ab. Trotz des erwiesenen Betragsdruckes durch die steigende Anzahl Pflegebedürftiger, gestiegener Löhne und Zuschüsse an Pflegeheimbewohner drohe keineswegs eine Insolvenz der Pflegeversicherung. Ob das von ihm angekündigte Finanzkonzept die Pflegeversicherung tatsächlich wieder auf stabile Füße stellen kann, wird sich erst noch zeigen müssen. Klar ist: Auf die Bürger kommen harte Zeiten zu. Trotz oder gerade wegen der aktuellen Rezession.
Ingrid Scholz
WIR WOLLEN DIE PFLEGEZAHNMEDIZIN IN BAYERN FÖRDERN
… titelt eine kostenfreie Fortbildung am 2. Dezember 2024 für alle Zahnärzte der KZVB- Bezirksstellen München und Oberbayern. Referent Prof. Dr. Christoph Benz, Präsident der Bundeszahnärztekammer und Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Alterszahnmedizin, wird hier Möglichkeiten aufzeigen, wie Praxen mit diesem sensiblen Bereich um- gehen können. Gemeinsam mit der Bayerischen Zahnärztekammer hat sich die KZVB die intensive Förderung der zahnärztlichen Versorgung Pflegebedürftiger in Bayern zum wichtigen Ziel gesetzt. Dazu wurde die Landesarbeitsgemeinschaft zur Förderung der Mundgesundheit in der Pflege (LAGP) gegründet. Ziel ist es, die flächendeckende präventive und therapeutische Versorgung durch niedergelassene Zahnärzte zu koordinieren und die Mundgesundheitskompetenz der Pflegenden und Pflegebedürftigen zu fördern.
Termin:
Montag, 2. Dezember 2024, 18:30 bis 20:00 Uhr
Zahnärztehaus München, Großer Vortragssaal (1.09)
Fallstraße 34, 81369 München
Anmeldungen unter https://www.kzvb.de/praxisfuehrung/fortbildungstermine/veranstaltungsanmeldung/detail/wir-wollen-die-pflegezahnmedizin-in-bayern-foerdern.