Das Märchen von Dr. Raffzahn

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

„Geschäftsmodell Angst“ – so lautete die Überschrift eines Artikels in der „Süddeutschen Zeitung“, in dem die angebliche „Abzocke“ der Patienten durch Kieferorthopäden angeprangert wird. Ich will an dieser Stelle nicht auf die höchst fragwürdigen Tatsachenbehauptungen in dem Artikel eingehen. Mir geht es um die Denke, die dahintersteckt und die den gesamten Berufsstand betrifft – nicht nur die Kieferorthopäden. Es ist das uralte Vorurteil vom „Besserverdiener Zahnarzt“, das Märchen von Dr. Raffzahn, der den Hals nicht vollbekommt.

Dabei belegen alle Statistiken, dass dieses Bild längst nichts mehr mit der Realität zu tun hat. Besserverdiener – das sind heute andere Berufe. Investmentbanker, Consultants, Anwälte in Großkanzleien und Manager mit Bonuszahlungen – sie lachen über das durchschnittliche Einkommen von niedergelassenen Zahnärzten. Selbst innerhalb der Ärzteschaft liegen wir nur noch im Mittelfeld. Radiologen, Augenärzte und Urologen verdienen deutlich mehr als Zahnärzte. Wenn wir mit Ende 20 oder Anfang 30 ins Berufsleben starten, müssen wir Kredite abbezahlen, uns mit dem Fachkräftemangel, der Bürokratie, den Krankenkassen und einer überzogenen Erwartungshaltung vieler Patienten auseinandersetzen.

Ich kann nachvollziehen, dass immer weniger junge Kolleginnen und Kollegen bereit sind, sich niederzulassen. Das spüren auch die Patienten. In mehreren bayerischen Landkreisen zeichnet sich eine KFO-Unterversorgung ab. Denn Fakt ist: Vom GKV-Honorar kann fast keine Praxis leben. Es hat Gründe, warum unser Anteil an den GKV-Gesamtausgaben von neun auf sechs Prozent zurückgegangen ist (siehe Seite 10). Die Kollegen flüchten sich in die profitablere Privatbehandlung von Erwachsenen oder eben in Zusatzleistungen. Der SZ-Journalist (!) Hans von der Hagen forderte bereits 2017 in einem Kommentar: „Gebt den Zahnärzten mehr Geld!“ Die Forderung begründete er mit einer veralteten Gebührenordnung und den Einsparungen der Krankenkassen durch die Festzuschüsse. Der Mann hatte Recht! Leider kannten seine Kollegen diesen Kommentar offensichtlich nicht.

Ihre

Dr. Marion Teichmann
Stv. Vorsitzende des Vorstands der KZVB