Liebe Kolleginnen und Kollegen,
der CDU-Politiker und langjährige Bundesarbeitsminister Norbert Blüm bestritt einen großen Teil seiner politischen Karriere mit dem Satz „Die Rente ist sicher!“. Wer ihm da widersprach, der konnte sich warm anziehen, und die für viele Menschen bitteren Folgen seines Wirkens erlebt Blüm, der vor vier Jahren verstorben ist, nicht mehr mit.
Unsere derzeit amtierenden Politiker belassen es nicht bei sprachlich so schlichten Statements, sondern setzen rhetorisch gerne noch einen drauf. Deshalb bekommen wir von Gesundheitsminister Karl Lauterbach nicht nur ein triviales „Die ePA ist sicher!“ zu hören, sondern er verkündet, sie sei „von der Sicherheit her besonders sicher“.
Das ist nicht nur sprachlich eine sehr gewagte Äußerung.
Es ist mehr als nur eine Spekulation, dass dem früheren Bundesdatenschutzbeauftragten Ulrich Kelber auch deshalb die zweite Amtszeit verweigert wurde, weil er die unzureichende Sicherheitsarchitektur der elektronischen Patientenakte mehrfach deutlich kritisiert hat.
In der Tat ist die Ende 2023 für die ePA beschlossene Widerspruchslösung („Opt-out“) ein Signal des Misstrauens an die Bürger. Der Patient ist nicht auf Augenhöhe mit denen, die über seine Daten verfügen.
Hinzu kommt eine nachgerade dilettantische Umsetzung einer an sich bestechenden Idee: Die ePA ist derzeit nichts anderes als ein großer digitaler Schuhkarton, in den wahllos, unvollständig und unstrukturiert Befunde, Berichte, Briefe, Medikationspläne und Bildgebungsergebnisse gestopft werden und in dem dann der jeweilige Behandler – digital – herumstochern muss, um für ihn relevante Informationen aus dem Konglomerat zu fischen.
Das straf- und zivilrechtliche Haftungsrisiko kann für den Arzt sogar steigen, nämlich dann, wenn er im digitalen Heuhaufen gerade nicht die eine Information findet, auf die es im konkreten Fall ankommt, und dadurch ein Behandlungsfehler passiert.
Pikant ist auch, dass ein Gutachten des Fraunhofer-Institutes für Sichere Informationstechnologie (SIT), dessen Abschlussbericht bereits am 9. August dieses Jahres erstellt wurde, erst am 10. Oktober von der gematik veröffentlicht wurde.
Die Analyse der Fraunhofer-Experten ergab insgesamt 21 Schwachstellen im gematik-Konzept, davon vier mit „hohem Schweregrad“. Auch wir Zahnärzte sind von dem Gutachten betroffen, weil strengere Sicherheitsanforderungen für unsere Praxisverwaltungssoftware verlangt werden. Minister Lauterbach hat bereits angekündigt, dass Softwaresysteme, die sich nicht an die Vorgaben der gematik halten, die Zulassung verlieren könnten.
Wir Zahnärzte sind schon von Berufs wegen besonders technikaffin. Niemand von uns hat etwas gegen eine ePA, die sicher ist, funktioniert und nützt. Solange das nicht der Fall ist, solange unsere Patienten und wir durch diesen „digitalen Schuhkarton voller Zettel“ entmündigt werden, darf Herr Lauterbach sie gerne behalten. Wir brauchen sie nicht!
Ihr
Dr. Dr. Frank Wohl, Präsident der Bayerischen Landeszahnärztekammer